Wenn der Acker brennt
Das gleiche Gefühl, das er einige Stunden zuvor bei ihr ausgelöst hatte, als er auf der Bühne gestanden und sie zu ihm aufgeschaut hatte. Nein, er konnte ihr keine Angst einjagen.
»Was willst du?«, fuhr sie ihn trotzdem barsch an. Dass sie ihn duzte, erschien ihr der Lage angemessen.
Schweigend setzte er sich auf den Rand der Wanne. Ohne den Blick von ihr zu nehmen, öffnete er die weiße Pappschachtel, die er in der Hand hielt. Verblüfft schaute sie auf die beiden Fotos, die mit den Rosenblüten aus der Schachtel fielen und in der Wanne landeten.
»Du liebst außergewöhnliche Fotos, nicht wahr?«, ging auch Rick vom förmlichen Sie zum Du über und schleuderte die leere Pappschachtel auf die Badfliesen.
»Erzähle mir von Amata.«
»Ich dachte, wir hätten uns verstanden, aber offensichtlich habe ich mich getäuscht.«
»Ich möchte doch nur wissen, wer sie war. Warum sagst du es mir nicht?« Ehe ihr bewusst wurde, was sie tat, hatte sie sein Handgelenk umfasst. Sie spürte, dass er bei ihrer Berührung wie elektrisiert zusammenzuckte.
»Lass mich in Ruhe, bitte.« Als er sich aufrichtete, gab sie sein Handgelenk sofort frei. »Niemand wühlt in meinem Leben herum. Respektiere das.«
»Verdammt, was habe ich dir denn getan?«, rief sie ihm nach, als er ohne ein weiteres Wort ihr Badezimmer verließ und die Tür hinter sich zuschlug. Behutsam strich sie über die Rosenblüten, die allmählich in den lavendelfarbenen Schaumbergen versanken. Es waren ähnliche Rosenblüten wie die, die er über Amatas Grab gestreut hatte. Sie hatte wohl etwas entdeckt, was er geheim halten wollte, und das schien er ihr sehr übel zu nehmen.
Als sie später in ein Badetuch gehüllt auf ihrem Bett saß, dachte sie an den Moment, als sie sein Handgelenk umfasst hielt und er zusammenzuckte. Sie hatte sich ihm so nah gefühlt, beinahe so, als würden sie sich schon lange kennen.
»Nein, ich werde mich nicht in ihn verlieben, niemals«, beteuerte sie laut, während sie aus dem Fenster schaute und das Wetterleuchten über den Bergen beobachtete.
10
Rick fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Er war es gewohnt, dass er nach einem Konzert nicht gleich abschalten konnte, aber dieses Mal war es nicht allein das Adrenalin des Auftritts, das ihn die letzten Stunden so aufgeputscht hatte. Es war Christine Weingard. Noch immer hatte er keine Ahnung, was genau sie plante und was sie über ihn wusste. Warum hatte sie Amatas Grab fotografiert? Hatte sie gewusst, dass er an diesem Tag dort sein würde? Er musste unbedingt mit Denninger sprechen. Gleich morgen früh würde er wieder versuchen, ihn zu erreichen.
Dass er sich von dem bestochenen Zimmerkellner Christines Tür hatte öffnen lassen und sich damit den Auftritt bei ihr verschaffte, hatte ihn nicht wirklich weitergebracht. Ich setze alle Hebel in Bewegung, um sie loszuwerden, nutze aber die nächste Gelegenheit, um sie in ihrem Bad zu überraschen, das ist krank! Im nächsten Moment stockte ihm beinahe wieder der Atem, als er die Augen schloss und Christine vor sich in der Badewanne sah. Nein, bitte, es darf nicht sein. Ich könnte das nicht aushalten. Er spürte, wie ihm heiß wurde. »Nein«, sagte er laut, als könnte er allein mit diesem Wort die Ängste besiegen, die seine Begegnungen mit Christine heraufbeschworen hatten.
»Was ist mit dir, Liebling?«, murmelte Kathrin, die neben ihm lag und kurz aufschreckte.
»Alles gut, schlaf weiter.« Er drehte sich auf die Seite und wandte ihr den Rücken zu. Noch hatte er ihr nicht gesagt, dass es zwischen ihnen vorbei war.
Am nächsten Morgen wachte er schweißgebadet auf. Er hatte geträumt, dass er vor Amatas Grab stand, sich die Erde wie von allein auftürmte und eine menschliche Gestalt umhüllte. Er war darauf gefasst, dass Amata aus dem Erdloch steigen würde, aber stattdessen war es Christine gewesen, die plötzlich in einem weißen langen Kleid auf das Gras kroch. Als er das Traumbild wieder vor seinem geistigen Auge sah, wurde ihm speiübel. Er rannte ins Bad und ließ eiskaltes Wasser über seine Arme laufen, um die ersten Anzeichen einer Panikattacke zu unterdrücken. Anschließend schlich er zurück ins Schlafzimmer, schlüpfte in seine Jeans und fummelte das schwarze Etui mit Johanns Selbstgedrehten heraus. Leise ging er auf den Balkon, ließ sich in einen Liegestuhl sinken und zündete eine Zigarette an. Das Marihuana würde ihn beruhigen.
Auf dem Feldweg, der hinter dem Garten des Hotels vorbeiführte, sah er
Weitere Kostenlose Bücher