Wenn der Acker brennt
auf Rick richtete und den Auslöser drückte. Als er ihr einen vernichtenden Blick zuwarf und einem bulligen Sicherheitsmann etwas zuraunte, wich sie erschrocken zurück.
»Herr Linden bittet Sie, ihn nicht zu fotografieren und sich nicht in seiner Nähe aufzuhalten. Tun Sie mir den Gefallen und respektieren Sie seinen Wunsch«, bat sie der Mann im schwarzen Anzug, während er mit wachem Blick die Umgebung beobachtete.
»Aber ich habe die Erlaubnis zu fotografieren.« Christine deutete auf die Registrierung, die sie am Eingang erhalten hatte und die an einem weißen Band um ihren Hals hing.
»Jetzt nicht mehr«, erklärte der Mann, öffnete den Clip des Bandes und nahm ihr den Presseausweis ab. »Gehen Sie.«
Christine schluckte den Zorn über diesen Sicherheitsmann hinunter. Er tat nur, worum Rick Linden ihn gebeten hatte. Heute würde sie keinen Schritt näher an ihn herankommen, aber wie es aussah, war er sowieso beschäftigt. Die attraktive Blondine in einem Hauch von rotem Kleid, die ihn vor dem Backstage-Zelt in Empfang nahm, war Kathrin Mehring, die aktuelle Frau an seiner Seite. Christine erschrak über den unmissverständlichen Stich in der Magengrube, als die andere Frau den Sänger umarmte und küsste. Nein, das kann nicht sein, dachte sie. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, obwohl er sie erneut zurückgewiesen hatte? Sie musste dringend ein paar Stunden schlafen, um wieder klar im Kopf zu werden.
»Hallo, warten Sie!«, rief der Sicherheitsmann ihr nach, als sie zum Ausgang lief und er sah, wie ihr zwei Fotos aus der Tasche fielen. Aber Christine war schon in der Menge verschwunden, die durch das Olympische Tor nach draußen strömte. »Verdammt, was soll denn das?«, murmelte er, als er die Bilder aufhob und betrachtete. Auf dem einem war ein Grab abgebildet, auf dem anderen Ricks Harley, die vor einem Friedhof parkte.
»Was hast du ihr gesagt, Örwin?«, wollte Johann von dem Sicherheitsmann wissen. Er saß auf der Treppe neben der Bühne und hatte ein Auge auf die Leute, die für sie arbeiteten. Hin und wieder tat er das, um sich zu überzeugen, dass er die richtige Wahl getroffen hatte.
»Rick wollte, dass sie verschwindet. Zu Recht, denke ich«, sagte Örwin und gab Johann die beiden Fotos.
9
Christine hatte die Konzertfotos gleich an Lucien geschickt. Wenn sie ihm gefielen, hatte sich der Ausflug wenigstens in dieser Hinsicht gelohnt. Mit Rick Linden wollte sie sich nicht länger herumschlagen. Am nächsten Morgen würde sie wieder nach Sinach fahren, um sich Einsicht in das Geburts- und Sterbe-Register zu verschaffen. Weder der alte Mann noch der Bürgermeister oder wer sonst noch etwas in diesem Dorf zu melden hatte, niemand würde sie davon abhalten können.
Als sie noch einmal die Abzüge durchschauen wollte, die sie am Abend im Fotoladen des Hotels abgeholt hatte, bemerkte sie, dass zwei fehlten. Vermutlich waren sie ihr während des Konzerts aus der Tasche gefallen. Das war schade, aber keine Katastrophe. Mit dem Foto vom Sinacher Friedhof würde niemand etwas anfangen können, und auch die Aufnahme von der Harley konnte man nicht ohne Weiteres zuordnen. Die Bilder würden in den Müll wandern wie alles andere, was die Konzertbesucher im Stadion zurückgelassen hatten.
Gegen Mitternacht ließ sie sich ein Bad ein, um endlich zur Ruhe zu kommen. Sie schüttete den lavendelfarbenen Badezusatz, den das Hotel für seine Gäste in kleine goldfarbene Flaschen gefüllt bereitstellte, ins Wasser und versank bis zum Hals in einem duftenden Schaumberg. Nach einer Weile schloss sie die Augen, lehnte den Kopf an den Wannenrand und stellte sich einen einsamen Strand an einem türkisblauen Meer vor. Beinahe wäre sie darüber eingeschlafen, als sie plötzlich ein Geräusch in ihrem Zimmer wahrnahm. Schritte, die sich schnell näherten. Mit wild pochendem Herzen griff sie nach der Handbrause und drehte den Hahn auf heiß. Das Badehandtuch war zu Boden gerutscht, viel zu weit, um es noch zu erreichen. Gleich darauf flog die Tür auf, und Rick Linden betrat das Badezimmer.
»Raus! Sofort!«, fuhr sie ihn an, und doch verlangsamte sich ihr Herzschlag wieder.
Ihre Panik war unbegründet. Rick Linden war nicht dafür bekannt, gewalttätig zu sein, auch wenn er jetzt sehr wütend war. Seine Augen funkelten, die Pupillen hatten sich so stark verengt, dass sie in dem Blau der Iris kaum noch auszumachen waren. Als sich ihre Blicke trafen, spürte sie sofort wieder die Faszination, die von ihm ausging.
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