Wenn der Acker brennt
paar Kerzen finden. Gib mir deine Hand«, bat er, und sie war froh über diese Geste.
»Wieso legt sich jemand nur einen derart versteckten Keller zu?« Christine schätzte den Gang, der zu dem eigentlichen Kellerraum führte, auf etwa zehn Meter.
»Wegen ihr.« Rick zündete sein Feuerzeug wieder an, und ihr Blick fiel auf die alte Destillationsmaschine.
»Er hat sie noch?«, wunderte sich Christine.
»Sie ist sogar noch in Betrieb. Denninger schickt mir jedes Jahr eine Flasche von seinem Obstler«, antwortete Rick schmunzelnd, während er eine Packung mit weißen Stabkerzen aus dem alten Steinregal nahm. Er zündete zehn davon an und stellte jeweils zwei in leere Einmachgläser, die er ebenfalls im Regal fand.
»Was ist mit dir?«, fragte Christine erschrocken, als er auf den massiven Holzschrank starrte, der fast die gesamte Wand des Raumes einnahm.
»Die Vergangenheit ist auf einmal so nah.« Sein Blick streifte Christine, als wollte er sich vergewissern, dass Zeit vergangen war, dass es nicht mehr Amata war, die da neben ihm stand.
»Du zitterst, Rick. Was ist mit dem Schrank?« Christine legte ihre Hand auf seinen Arm, als er den Schlüssel herumdrehte, der in der Tür steckte.
»Amata«, flüsterte er, als er mit einer Kerze in den Schrank hineinleuchtete.
»Was?« Halluzinierte er etwa? Sie hatte keine Ahnung, was mit einem Menschen geschehen konnte, der so lange ein unbewältigtes Trauma mit sich herumschleppte.
»Sieh her«, forderte er sie auf und deutete auf die zierlichen Buchstaben, die mit schwarzem Kugelschreiber auf die Innenseite der Schrankwand geschrieben waren.
Das blasse Geheimnis schreiend in seine tiefste, düsterste Zelle. – Mit einem alten Mann, der nach rostigen Schlüsseln tastet. – Es floh schaudernd, denn jedes unsterbliche Totengeläut, – mit dem das Vergessen Dynastien zu Grabe trägt, – flog wie ein verwundeter Adler auf dem Schall, – als der große Triumvir zum heiligen Herzen Roms zog.
»›Humanitad‹ von Oscar Wilde«, flüsterte Christine.
»Amata konnte die Ballade auswendig. Es scheint, als hätte sie gewusst, dass sie sterben wird.« Rick ließ sich auf den Boden des Schrankes sinken, lehnte sich an die Rückwand und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Wie sollte er diese Schuldgefühle jemals loswerden? Sie wurden nicht geringer, im Gegenteil, mit jedem Jahr, das verging, wogen sie schwerer. »Hätte ich geahnt, wie das alles ausgeht, hätte ich mich bemerkbar gemacht, dann würde Amata noch leben.«
»Sprich weiter, Rick, bitte«, flüsterte Christine, als er innehielt.
»Als wir hörten, dass jemand die Leiter hinunterstieg, versteckten wir uns in diesem Schrank. Gleich darauf fiel das Licht einer Taschenlampe durch die Ritzen. Wir wagten beide kaum zu atmen und hielten uns an den Händen. Dann entdeckte ich ein Loch in der Tür und schaute mit pochendem Herzen hindurch. Die Neugierde zu wissen, was da draußen vor sich ging, war einfach zu groß.
Der blaue Rucksack wurde hinter der Destillationsmaschine hervorgezogen. Ich konnte die Hand und das Armgelenk eines Mannes erkennen, er hatte eine frische Wunde, die aussah, als hätte ihn jemand gebissen. Amata hat mich zur Seite gedrängt, wollte selbst sehen, was passierte.
Der Mann hustete und räusperte sich. Er schien sich völlig unbeobachtet zu fühlen, als er den Rucksack über den Boden schleifte. Kurz darauf knirschte und ächzte die Leiter, und irgendetwas krachte auf den Lehmboden. Danach war es still. Als ich die Schranktür schon wieder aufdrücken wollte, hielt mich Amata zurück. Sie wollte sicher sein, dass der Mann auch wirklich fort war. Damit ich Ruhe gab, erzählte sie mir die Geschichte von dem Prinz, der Rosenblätter auf das Grab der Prinzessin streut.«
»Warum tut er das?« Christine dachte an Amatas Grab, das nach Ricks Besuch mit Blütenblättern übersät gewesen war – und an sein Auftauchen in ihrem Badezimmer in Garmisch.
»Die Rosenblätter sind sein Blut. Wenn sie auf das Grab fallen, wird die Prinzessin wieder lebendig.«
»Aber in Wirklichkeit funktioniert das nicht.«
»Nein, in Wirklichkeit funktioniert das nicht«, wiederholte Rick mit trauriger Stimme.«
»Und doch tust du es. Immer wieder.«
»Verrückt, ich weiß.«
»Nein, das ist nicht verrückt. Das ist sehr schön.«
»Amata hatte kurz vor ihrem Tod für das Märchen einen Preis bei einem Schreibwettbewerb gewonnen. Alle waren stolz auf sie.«
»Wie lange habt ihr noch gemeinsam in dem
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