Wenn der Acker brennt
wohl den größeren Bock geschossen.«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Leni.
»Eine gute Aktion war das wirklich nicht, mein Schatz. Wollen wir nur hoffen, dass sich Frau Weingard wieder hier einfindet.«
»Sie hat nichts verbrochen, Papa.«
»Trotzdem muss ich sie befragen. In Denningers Scheune wurde damals nach dem Brand eine Pistolenkugel gefunden.« Franz Burgers Blick haftete auf Jeremias.
»Tatsächlich? Ich wusste gar nicht, dass Denninger dort Schießübungen veranstaltet hat.«
»Georg besaß keine Waffe.«
»Bist du dir da so sicher? Wer weiß schon, was in seinen Mitmenschen wirklich vor sich geht. Lass von dir hören, Franz. Bis dahin«, verabschiedete sich Jeremias und ließ Vater und Tochter allein. Er hatte längst einen Verdacht, wo er Christine Weingard suchen musste. Franz Burger reimte sich da gerade etwas zusammen, was ihm gar nicht gefiel. Viel Zeit blieb ihm vermutlich nicht mehr, um die Dinge zu regeln.
»Warum hat er nicht gefragt, ob sich die Kugel einer Waffe zuordnen lässt?«, murmelte Burger.
»Was sagst du, Papa?«
»Nichts, schon gut. Aber kommen wir noch mal auf Frau Weingard zu sprechen.«
»Sie hat vor irgendetwas eine fürchterliche Angst«, vertraute sich Leni ihrem Vater an. »Schau, das hat sie gezeichnet, bevor sie fort ist. Vielleicht kannst du etwas damit anfangen«, sagte sie und reichte ihrem Vater das Papiertaschentuch.
39
Christine hatte den Weg entlang des Bachs gewählt. Hier würde sie bei diesem Wetter sicher niemandem begegnen. Der strömende Regen störte sie nicht. Erst als ein Blitz den Himmel erleuchtete und nicht weit von ihr in die Erde schlug, rannte sie schnell über den knirschenden weißen Kies zurück zu dem Bootsverleih, an dem sie kurz zuvor vorbeigekommen war. Durch die großen Fensterscheiben konnte sie die bunten Kanus sehen. Alle Türen waren verschlossen, niemand war in der Nähe. Sie flüchtete unter die überdachte Terrasse, setzte sich dort auf eine Hollywoodschaukel, zog die Beine an und verfolgte fasziniert das Naturschauspiel.
Grelle Blitze schossen aus den Wolken heraus, zackten über die Berggipfel und tauchten die Wolken in flammende Bronze. Irgendwo dort oben hatte sie Rick für immer verloren, und Jeremias Rimbar würde dafür büßen müssen.
Als der Himmel wieder aufklarte, stand die Sonne bereits tief am Horizont, und rosafarbene Schäfchenwolken zogen über die im Schatten liegenden kahlen Berggipfel hinweg. Christine schaute einem Reiher nach, der aus einem Gebüsch heraus ins Wasser stolzierte, sich siegesgewiss nach Beute umsah und plötzlich mit seinem spitzen langen Schnabel ins Wasser stach und einen Fisch verschlang. Der ewige Kreislauf von Leben und Tod. Sosehr sie sich auch nach dem Leben sehnte, sie musste sich erneut mit dem Tod beschäftigen.
Als sie die Friedhofskapelle erreichte, war diese unverschlossen. Auch die Tür zum Abstellraum neben dem Eingangsportal war nur angelehnt. Sie schaute hinein. Die Gartengeräte waren fein säuberlich in einer Reihe an der Wand aufgehängt. Es war alles da, was sie brauchte. Dass es geregnet hatte, wertete sie als gutes Omen. Der aufgeweichte Boden würde ihr Vorhaben erleichtern. Jetzt musste sie nur noch warten, bis es dunkel war, dann konnte sie sich an die Arbeit machen. Doch bis dahin würde sie sich in der Kapelle verbergen.
Der Raum war in schlichtem Weiß gehalten, über dem Altar aus dunklem Holz hing ein mit Gold überzogenes Kruzifix, für die Gläubigen gab es schmale Holzbänke mit roten Sitzkissen. Auf der kleinen Empore über dem Eingang stand die Orgel. Dort oben würde sie sich verstecken.
40
Das Gewitter war vorüber. Regentropfen rannen über die Nadeln der Kiefern und Tannen, ein frischer Duft erfüllte die Luft. Rick wusste nicht, wie lange er ohnmächtig gewesen war, als er wieder zu sich kam. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass er noch immer auf dem Felsvorsprung lag, auf dem er nach dem Kampf mit Jeremias gelandet war. Dumpf erinnerte er sich daran, in den letzten Stunden schon einige Male die Augen geöffnet zu haben, aber er war nicht stark genug gewesen, sie offen zu halten. Irgendwann hatte es gedonnert, er hatte den Regen auf seinem Gesicht gefühlt, aber auf seltsame Weise schien seine Kleidung so gut wie trocken zu sein.
Er schaute sich um. Offenbar hatte er sich unbewusst an den Berg gedrängt. Die überhängende Felswand hatte ihn vor dem Regen geschützt. Vorsichtig bewegte er seine Glieder. Erst die Arme, dann die
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