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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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Bundesverwaltungsgericht, die personifizierte Gerechtigkeit und Unbestechlichkeit. Bis auf eine Ausnahme vielleicht – mich selbst.
    Ich hatte immer Nachsicht bei ihm gefunden und mehr noch bei Mutter. Als Kind hatte ich mir keine weiteren Gedanken darüber gemacht, hatte es einfach glücklich hingenommen. Aber wenn ich jetzt darüber nachdachte, wurde mir bewusst, dass Vater selten so etwas wie menschliche Wärme verströmt hatte. Ich hatte ihn nur einmal weinen sehen, damals im Krankenhaus, als Mutter ihrem Krebsleiden erlegen war.
    Einar war Vater sehr ähnlich. Mein Bruder hatte meines Wissens nicht ein einziges Mal geweint, weder bei Mutters Tod noch fünf Jahre später, als Vater bei einem Zugunglück ums Leben kam. Und Bedauern über Vaters Tod hatte Einar erst später geäußert, nach seinem Einser-Examen, als er meinte, das hätte Vater gefreut.
    »Vielleicht hast du recht, Einar«, fuhr ich fort und wurde mir im selben Augenblick bewusst, dass es wie eine lahme Entschuldigung klang. »Aus irgendeinem Grund hat Vater mich immer bevorzugt. Und das, was er mir zu viel gegeben hat, mag dir gefehlt haben. Aber ich verstehe es selbst nicht. Du warst ihm immer viel ähnlicher, hast sogar ein Jurastudium mit Top-Noten hingelegt. Ich dagegen habe es nach dem ersten Semester abgebrochen.«
    »Möglicherweise war es gerade deshalb«, erwiderte Einar und wirkte nachdenklich. »Vielleicht mochte Vater sich selbst nicht besonders leiden.«
    »Wie auch immer, es ist nicht meine Schuld.« Ich rüttelte an den Riemen, die mich auf dem Bett festhielten. »Und es erklärt nicht das hier! Als du mich zur SGB holtest, dachte ich, alles sei vergeben und vergessen.«
    »Es war ein Irrtum, dich zu holen, ein Fehler!« Einar sprach mit harter Stimme, und jedes Wort war wie ein Peitschenhieb. »Ich glaubte, du müsstest dich mit den Jahren geändert haben. Mein Bruder und ich an der Spitze der SGB – ein unschlagbares Team! So dachte ich. Aber es war der schwerste Fehler meiner Laufbahn. So etwas wird nicht wieder vorkommen. Immerhin bist du jetzt doch noch zu etwas nütze, dank deiner Ähnlichkeit mit Fuchs.«
    Die letzte Bemerkung rief Bestürzung in mir hervor. Ich erinnerte mich, wie Ambeus mir den Spiegel vorgehalten hatte. Wie ich das Gesicht im Spiegel sah, das Gesicht aus dem INTEC-Tower. Das Gesicht von Robert Fuchs.
    Mein Gesicht?
    »Nein!« keuchte ich. »Das kann nicht sein! Was habt ihr mit mir gemacht?«
    Auf einen Wink Einars griff Ira hinter sich und reichte ihm den runden Spiegel, den schon Ambeus benutzt hatte. Einar hielt ihn vor mein Gesicht, und wieder blickte ich in die Züge von Robert Fuchs.
    Ich schloss die Augen, um mich an mein Gesicht zu erinnern. Einar hatte recht, die Ähnlichkeit zu Fuchs war frappant: Dasselbe dunkle Haar, dieselben grauen Augen, und beide hatten wir ein schmales Gesicht mit vorspringendem Kinn. Aber ich hatte ausgeprägtere Wangenknochen gehabt als Fuchs, nicht so spöttisch dreinblickende Lippen und keine gebrochene Nase.
    Als ich die Augen wieder aufschlug, las Einar in meinem Blick, was mich bewegte, und er sagte: »Dieselbe Statur, dieselbe Grundform des Gesichts. Es war nicht besonders schwer, dich in Fuchs' Doppelgänger zu verwandeln. Ein paar gesichtschirugische Eingriffe der leichteren Art.« Er blickte Ambeus an. »Ein guter Freund des Professors ist ein Meister auf dem Gebiet.« Einars Augen fixierten wieder mich und ich las darin tiefe Befriedigung. »Besonders passend fand ich, dass wir dir die Nase brechen mussten.«
    Das alles erschien mir wie ein einziger Albtraum, aber ich blickte den Beweis an, mein Spiegelbild. Ich fühlte mich wie jemand, der ein UFO landen sieht: Man weiß, es ist unglaublich, und doch ist es wahr!
    »Wozu?«, brachte ich endlich über die Lippen.
    »Wir brauchen Robert Fuchs noch, schon sehr bald, in wenigen Tagen. Du aber hast ihn uns genommen, als du in der Tiefgarage auf seinen Wagen geschossen hast, Arved. Als wir ihn fanden, war er tot. Gehirnblutung. Der Aufprall, verstehst du? Er war nicht angeschnallt.«
    Ja, ich verstand, aber ich begriff längst noch nicht alles. Meine eigene Erinnerung war noch zu bruchstückhaft, und was Einar mir sagte, ersetzte nur einen kleinen Teil der fehlenden Puzzlestücke.
    Ich versuchte, einen winzigen Teil meines Unverständnisses in Worte zu fassen: »Wieso stand in der Presse nichts von dem Vorfall in der Tiefgarage? Es hieß, es gebe keinen Hinweis auf den oder die Verursacher des INTEC-Massakers.

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