Wenn der Golem erwacht
die Vorhölle. Wenn das, was ich durchmachte, die Vorhölle war, wie musste dann erst die richtige Hölle sein?
Noch etwas bereitete mir Kopfzerbrechen: Die Worte des sterbenden Wächters, die ich über Funk mitgehört hatte: »Der Golem – er haut ab!«
Zweifellos hatte er damit mich gemeint, doch ich wurde aus der Bezeichnung ›Golem‹ nicht schlau. Meines Wissens stammte das Wort aus dem jüdischen Volksglauben.
Es fiel mir immer schwerer, meine Gedanken weiterzuverfolgen. Traumbilder wollten sich dazwischenschieben. Ich musste mich höllisch konzentrieren, um nicht den Faden zu verlieren.
War der Golem nicht eine Sagengestalt, aus Lehm geformt und zum Leben erweckt? Aber weshalb hatte der Wächter mich so genannt? Ich bestand aus Fleisch und Blut!
Aus Blut wie dem, das mich plötzlich umhüllte, in einen Wirbel spülte, mit sich riss in ungeahnte Tiefe voller anklagend blickender Leichen.
3
E inmal mehr durchstieß ich die Oberfläche des blutigen Meeres, bäumte mich auf und schnappte nach Luft. Um mich herum war Dunkelheit.
Langsam begriff ich, wo ich mich befand: Die Lichtung mit der Hütte, die Pritsche. Entgegen meinem Vorsatz war ich eingeschlafen. Der Albtraum, der mich immer wieder heimsuchte, hatte mich einmal mehr in seinen Bann gezogen. Ich war schweißgebadet, und die Kleider klebten an mir.
Ein leises Klacken erregte meine Aufmerksamkeit. Das Geräusch kam aus Richtung Tür. Vermutlich hatte ich unterbewusst einen ähnlichen Laut wahrgenommen und das hatte mich der furchtbaren Traumwelt entrissen.
Während ich nach der Heckler & Koch tastete, den Lauf zur Tür richtete und den Sicherungshebel ganz nach oben schob, auf Dauerfeuer, sah ich den Umriss: Ein Mensch, etwa mittelgroß, allein, direkt vor der Tür.
»Die Tür ganz langsam aufdrücken!«, rief ich. »Und dann die Hände über den Kopf und im Türrahmen stehen bleiben. Eine falsche oder hastige Bewegung, und Sie sind ein Sieb!«
Die Tür öffnete sich Zentimeter um Zentimeter und blasses Mondlicht ergoss sich über einen Teil des Innenraums. Die Pritsche, auf der ich saß, blieb im Dunkeln. In dem Lichtstrahl zeichnete sich die fremde Gestalt ab, und im ersten Augenblick erschien sie mir wie ein Engel. Ein Windstoß spielte mit dem schulterlangen Haar, das im Mondlicht hell wirkte, fast golden. Nicht rot, wie es eigentlich war.
Obwohl ich das schöne Gesicht mit den vorstehenden Wangenknochen sofort erkannte, musste ich mir einige Sekunden lang vergegenwärtigen, dass Ira vor mir stand. Ohne Schwesterntracht und mit dem offen herabhängenden Haar wirkte sie wie verwandelt, wie ein anderer Mensch. Sie trug eine dunkle Jacke mit hochgeschlagenem Kragen, Blue Jeans und feste Schuhe mit flachen Absätzen. Sie schien nicht durchnässt. Jetzt erst wurde mir bewusst, dass der Regen aufgehört hatte.
»Darf ich reinkommen, ohne dass Sie mich erschießen?« Es klang nicht ängstlich, eher ein wenig spöttisch.
»Sind Sie bewaffnet?«, fragte ich zurück.
»Nur mit den Waffen einer Frau.«
Angesichts der Situation erschien sie mir entschieden zu gut aufgelegt.
»Allein?«, fragte ich weiter.
»Ja.«
»Wie haben Sie mich gefunden?«
»Vor einiger Zeit habe ich mich auf dem Weg zur Klinik verfahren und bin bei dieser Hütte gelandet. Daran habe ich mich erinnert. Ich dachte mir, das sei ein idealer Unterschlupf.«
»Also ein Glücksfall«, sagte ich skeptisch.
»Das muss sich noch herausstellen«, meinte Ira.
»Wieso?«
»Falls Sie noch mal versuchen, mir den Hals umzudrehen, kann ich wohl kaum von Glück reden.«
»Ich musste Sie betäuben, um zu fliehen.«
»Das mussten Sie nicht. Sie hätten mich einfach um Hilfe bitten können.«
»Ich ahnte nicht, dass Sie mir helfen wollen.«
»Jetzt wissen Sie's. Darf ich bleiben?«
»Kommen Sie rein und machen Sie die Tür zu.«
Kaum war sie meiner Aufforderung nachgekommen, da stand ich hinter ihr und drückte sie mit der Linken gegen die geschlossene Tür. In der Rechten hielt ich die MP, deren Lauf ich in Iras Nacken drückte. Die schnelle Aktion brachte mir den bohrenden Kopfschmerz zurück.
»Beine nach hinten und mit den Händen an der Tür abstützen!«, herrschte ich sie an. »Die linke Hand auf die rechte legen und das linke Bein über das rechte kreuzen!«
Ira gehorchte. »Was wird das? Eine Vergewaltigung von hinten? Im Stehen?«
»Ich will nur sehen, ob Sie ehrlich sind«, erklärte ich und tastete sie mit der linken Hand nach versteckten Waffen ab.
»Kein
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