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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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und das seltsame Gebäude, das einmal ein Theater gewesen war. Vor mir ragte ein mächtiger schwarzer Schatten auf, der Kleiderschrank. Hatte er mich zu dem Schatten in meinem Traum inspiriert?
    Ich kannte den Traum gut, zu gut, hatte ihn so oder ähnlich viele Male durchlebt. Aber der Schatten mit der seltsamen Flosse am Ende war zum ersten Mal aufgetaucht. Prüfend richtete ich meine schlafverklebten Augen auf den Schrank, ohne etwas zu entdecken, was an die Flosse des Traumgebildes erinnerte.
    Ich hatte keine Uhr, wusste nicht, wie spät es war, wie lange ich geschlafen hatte. Nur eins war klar: Es war kein erholsamer Schlaf gewesen. Ich fühlte mich wie gerädert, und das feuchte Gefühl an meiner Haut war keine Einbildung. Ich war schweißverklebt. Den fremden Pyjama, den ich im Schrank gefunden hatte, hätte ich auswringen können.
    Vielleicht sollte ich genau das tun, überlegte ich und merkte, dass mein Verstand langsam arbeitete. Hin und her gerissen zwischen Traum und Wirklichkeit, schien ich Schwierigkeiten zu haben, klare Gedanken zu fassen. Vielleicht lag es auch an dem pochenden Schmerz in meinem Kopf. Unterschwellig war er immer da, aber jetzt spürte ich ihn besonders heftig.
    Als ich mich aus dem Bett wälzte, um den nassen Pyjama auszuziehen, hörte ich ein leises Geräusch. Erst dachte ich, eine Feder in dem alten Bettgestell hätte gequietscht. Aber dann hörte ich es wieder und stellte fest, dass es woanders herkam. Es klang wie ein entsetzter Schrei. Wie die Stimme einer Frau.
    Max!
    Jetzt begriff ich, was mich geweckt hatte: Der dumpfe Knall, den ich im Traum gehört hatte, war Wirklichkeit gewesen. Und er hatte sich angehört wie ein Schuss.
    So wie ich war, barfuß und in dem durchnässten Schlafanzug, lief ich hinaus auf den dunklen Gang, zu Max' Wohnung. Von dort fiel ein Lichtschimmer auf den Gang, weil die Tür einen Spalt breit offen stand.
    Etwas war nicht in Ordnung. Ich spürte die Gefahr, und mein Körper reagierte. Adrenalin schoß durch die Adern, mein Herz schlug schneller, und meine Muskeln spannten sich an. Ich hörte hektische Stimmen aus der Wohnung, Männerstimmen, mindestens zwei.
    Vorsichtig betrat ich das Wohnzimmer, in dem sich weder Max noch die Männer aufhielten. Otto lag am Boden, alle viere von sich gestreckt. Ein Stück seines Kopfes fehlte. Rote und graue Spritzer, Blut und Gehirnmasse, klebten am Teppich und an dem Sofa, auf dem vorhin Max gesessen hatte. Jetzt wusste ich, wem der Schuss gegolten hatte.
    Aus dem Schlafzimmer, dessen Tür halb offen stand, ertönte ein Schrei, und ich erkannte Max' Stimme: »Lasst mich, ihr Schweine! Ich weiß, wer euch geschickt hat. Er wird das Theater nicht kriegen!«
    »Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Süße«, antwortete in hämischem Tonfall eine raue Männerstimme. »Wir wollen nur ein bisschen Spaß mit dir haben.«
    »Klar«, fiel eine tiefere Stimme ein. »du musst dich doch einsam fühlen, so ganz allein in dem großen Haus.«
    Eine dritte Männerstimme, die etwas vom Meckern einer Ziege hatte, erscholl: »Vielleicht hat es ihr der Köter besorgt. Die Schlampe steht bestimmt auf Frauen und Tiere. Aber die Töle habe ich erledigt. Jetzt zeigen wir dir, was richtige Männer können!«
    Drei Fremde also. Oder waren es noch mehr? Wenn ich zur Schlafzimmertür ging, um mir ein Bild zu machen, konnten sie mich bemerken. Ich richtete meinen Blick einfach auf die Wand und konzentrierte mich.
    Es war, als würde die Wand halb durchlässig. Umrisshaft sah ich vier Gestalten. Eine lang rücklings auf dem Bett, vermutlich Max. Die Zweite kauerte auf dem Bett vor ihr. Die beiden anderen standen links und rechts daneben. Also tatsächlich drei Gegner. Der Mann rechts neben dem Bett hielt eine Waffe in der Rechten, Pistole oder Revolver. Ihn musste ich zuerst angreifen.
    Ich huschte lautlos zum Durchgang und erhaschte für einen Augenblick ein Bild der Situation. Max lag tatsächlich rücklings in ihrem zerwühlten Bett. Der Mann, der vor ihr kauerte, hatte ihre Pyjamahose bis zu den Füßen nach unten gezogen und beglotzte gierig ihren nackten Unterleib.
    Der Typ war massig, hatte Stoppelhaar, noch kürzer als meins, einen ungepflegten Dreitagebart, trug eine Lederweste über dem fleckigen Jeanshemd und Springerstiefel. Der Mann links von Max sah fast aus wie sein Zwillingsbruder, war aber ganz kahl auf dem Kopf. Der Kerl mit der Schusswaffe wirkte im Vergleich mit den beiden anderen hager, war jünger, hatte blondes Haar und jede

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