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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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Tiergarten hast du mich bespitzelt!«
    »Ich sagte doch, dass ich dir aus einem unbestimmten Gefühl heraus gefolgt bin.«
    »Rede weiter!«, forderte Max, ohne die Pistole auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Sie hielt die Waffe fest in beiden Händen. Die Mündung war auf meine Brust gerichtet.
    »Du wirst mir nicht glauben. Ich würde es selbst nicht glauben.«
    »Versuch es!«
    Also redete ich. Was konnte ich dadurch schon verlieren? Andererseits konnte es mich das Leben kosten, wenn ich den Mund hielt. Max befand sich in einem Erregungszustand, in dem ihr alles zuzutrauen war. Ich erzählte ihr von der Klinik in dem alten Gebäude, von meiner Flucht durch den Wald und von dem Fernfahrer, der mich mit nach Berlin genommen hatte.
    Als ich geendet hatte, schwiegen wir uns eine kleine Ewigkeit lang an. Sie musterte mich wie das unverhofft entdeckte Exemplar einer für ausgestorben geglaubten Tierrasse. Langsam sanken ihre Arme mit der Pistole nach unten, bis die Waffe auf dem Bett lag.
    »Entweder bist du irre, oder du sagst die Wahrheit«, meinte sie. »Ausdenken kann man sich das nicht.«
    »Es gibt noch eine Möglichkeit.«
    »Welche?«
    »Ich bin irre, und ich sage die Wahrheit.«
    Sie nickte langsam und blickte die Pistole an. »Dann sollte ich dich vielleicht doch besser erschießen.«
    »Entscheide dich! Draußen war es nass. Es ist nicht besonders angenehm, hier mit nackten Füßen zu stehen.«
    »Das klingt vernünftig«, sagte sie. »Ich glaube, so irre bist du doch nicht. Zieh dir was anderes an!«
    »Und du solltest die Waffe sichern und entladen!«
    »Ja, schon gut.«
    Ich zeigte auf den Revolver. »Kann ich den aufheben, ohne dass du nervös wirst?«
    »Kannst du.«
    Sie machte sich an der Pistole zu schaffen, während ich nach dem Smith & Wesson griff und mich umdrehte. Ich nahm die Waffe mit in mein Zimmer, wo ich die Trommel aufklappte. In einer Kammer steckte nur noch die Patronenhülse, die anderen waren mit vollständigen Patronen bestückt.
    Als ich angezogen in Max' Wohnzimmer zurückkam, kauerte sie auf dem Boden, hielt den toten Hund in den Armen und weinte. Dass sie sich dabei mit Ottos Blut beschmierte, schien ihr nichts auszumachen. Mit einem suchenden Blick stellte ich fest, dass die gesicherte Pistole auf dem runden Tisch lag. Es war eine SIG-Sauer P230, eine kompakte 9-mm-Waffe. Das neben der Automatik liegende Magazin fasste sieben Patronen. All das war mir nach einem kurzen Blick auf die Waffe klar, ohne dass ich wusste, woher ich diese Kenntnis hatte.
    »Diese Mistkerle!«, schluchzte Max, als sie mich bemerkte. »Du hättest sie umlegen sollen, alle drei!«
    »Vielleicht hätte ich das wirklich tun sollen, aber es hätte uns eine Menge Schwierigkeiten eingebracht. Nicht dass eine Anklage wegen dreifachen Mordes bei mir noch viel ausmacht, aber die Staatsanwaltschaft hätte dich unter Umständen wegen Mittäterschaft angeklagt.« Mein Blick streifte die Schublade mit der Beute des Abends. »Und dann ist da noch diese Sache. Die Bullen hätten die Videokamera bestimmt gefunden. Ich nehme an, du bewahrst hier noch ein paar heiße Stücke auf. Alles in allem hätte es dich wohl in den Knast gebracht. Aus der Traum von der Wiedereröffnung des Theaters.«
    »Das ist er sowieso, wenn es nach diesen Dreckschweinen geht.«
    »Welches Interesse haben sie daran?«
    »Sie selbst keins. Sie kriegen Geld dafür, mich von hier zu vergraulen.«
    »Waren sie schon mal hier?«
    »Die oder andere. Hin und wieder machen irgendwelche Kerle Randale auf dem Grundstück. Bis jetzt ist es Otto und mir immer gelungen, sie zu vertreiben. Aber …«
    Ihre Stimme zitterte und erstarb. Wieder drückte sie den Hundekadaver an sich, und ihre Tränen vermischten sich mit Ottos Blut. Als sie sich ausgeweint hatte, schlug ich vor, Otto draußen zu begraben. Ich wollte es allein tun, aber sie bestand darauf, mitzukommen. Auf dem Innenhof mit der alten Linde, Ottos Lieblingsplatz, hob ich im strömenden Regen ein Grab aus. Als ich die Erde über den Kadaver geschaufelt hatte, fragte ich, ob Otto ein Grabkreuz oder etwas in der Art erhalten sollte.
    Max schüttelte den Kopf. »Der Baum genügt. Er hat ihn sehr gemocht.«
    Wir duschten, erst Max, dann ich. Danach wollte ich zurück in mein Zimmer gehen, mir einen frischen Pyjama aus dem Schrank nehmen und endlich schlafen.
    Da hörte ich Max durch die offene Schlafzimmertür rufen: »Komm her, bitte!«
    »Ich bin nackt.«
    »Ich auch.«
    Zögernd betrat ich das

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