Wenn der Golem erwacht
heiße Max.«
»Nach Maximilian Schell, ich weiß«, sagte ich säuerlich. »Maximilian ist ja auch ein sehr typischer Frauenname.«
»Maximilian nicht, aber Maximiliane. So heiße ich, Maximiliane Diefenbach. Klingt reichlich bescheuert, oder?«
»Nun ja«, brummte ich verlegen und zog den Verschluss einer Bierdose ab, um einen Schluck zu trinken. Zeitgewinn. »Klingt jedenfalls ungewöhnlich.«
Sie grinste. »Ein nettes taktisches Rückzugsmanöver, Herr Generalfeldmarschall. Ich jedenfalls habe es schon im Kindesalter vorgezogen, mich einfach nur Max zu nennen.«
»Und warum die Maskerade?«
»Die ist sehr hilfreich bei meinem Job. Die Sache vorhin auf dem Pariser Platz ist vor ein paar Dutzend Zeugen abgelaufen. Die Fahndungsmeldung ist sicher schon raus – nach einem bärtigen Mann.«
»Verstehe. Aber weshalb hast du mir bis eben eine Komödie vorgespielt?«
»Aus zwei Gründen. Erstens macht es mir Spaß. Das ist vielleicht das Schauspielerblut in mir. Zweitens: Warum sollte ich dir gleich alles auf die Nase binden, Mann mit den tausend Geheimnissen?«
»Jedenfalls hast du deine Rolle sehr überzeugend gespielt. Deine Stimme klang vollkommen anders. Auch deine Bewegungen waren die eines Mannes.«
»Merci«, flötete Max und deutete eine Verbeugung an. »Ich sagte ja, Schauspielerblut. Das habe ich von meinen Eltern geerbt.«
»Und wie lautet die Langfassung der Story?«
»Willst du etwa meine Lebensbeichte hören?«
»Warum nicht? Ich habe nichts anderes vor.«
Nach kurzem Zögern machte Max eine weit ausholende Bewegung. »Dieses Theater, die Diefenbachbühne, gibt's schon seit hundert Jahren. Oder gab es, um korrekt zu sein. Seit zehn Jahren wurde hier kein Stück mehr gegeben. Wie der Name sagt, ein alter Familienbetrieb, gegründet von meinem Urgroßvater Albert Diefenbach. Er hat in den Dreißigern Stücke aufgeführt, die den Nazis nicht gerade willkommen waren. Brecht, Zuckmayer, Zweig, meistens Autoren, deren Werke dreiunddreißig in Flammen aufgingen. Aber auch danach machte er sich bei den Braunen konsequent unbeliebt. Achtunddreißig wurde das Theater geschlossen, und im Winter neununddreißig/vierzig ist Uropa in Sachsenhausen gestorben. Mein Großvater hat sich politisch zurückgehalten, zumal er schon Frau und Kind hatte. In den Fünfzigern konnte er das Theater wieder eröffnen. Was die Nazis mit seinem Vater angestellt hatten, hatte ihm bei den DDR-Bonzen ordentlich Pluspunkte verschafft. Er und meine Eltern konnten die Diefenbachbühne während der ganzen Zeit als Familienunternehmen weiterführen. Erst die Wende hat uns das Genick gebrochen.«
Sie zog einen Flunsch und beugte sich nach vorn, um Otto den Rücken zu kraulen. Der Hund quittierte das mit zufriedenem Brummen und Schwanzwedeln.
»Was ist passiert?«
»Das, was vielen im Osten nach der Wiedervereinigung passiert ist«, seufzte Max und machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. »Während der Nazizeit musste das Haus zwangsverkauft werden, aber die DDR hat es meinem Großvater zugesprochen. Nach der Wende meldeten die Erben des Mannes, der es 1940 für ein Butterbrot gekauft hat, um ein Kino draus zu machen, Eigentumsansprüche an. Meine Eltern gingen durch alle Instanzen.«
»Und haben sie gewonnen?«
»Wie man's nimmt. Das Urteil erging zu ihren Gunsten, aber da waren sie längst pleite und das Haus mit Hypotheken belastet. Meine Mutter starb kurz nach Abschluss des Verfahrens. Das hat Vater nicht verkraftet, ein Jahr später war auch er tot.« Sie zeigte auf ein vergilbtes Theaterfoto an einer Wand, Romeo und Julia in Kostüm und Maske; der Mann hatte Max' ovale Gesichtsform, die Frau ihre Stupsnase. »Das sind sie als junges Paar, Erich und Renate Diefenbach. Sie waren sehr gute Schauspieler.«
»Wie man an ihrer Tochter erkennt«, sagte ich im Hinblick auf ihren Auftritt als bärtiger Straßenräuber.
»Ich hatte noch das Glück, mit Papa und Mama auf der Bühne zu stehen. Hier in diesem Haus, für das ich jeden Monat ein paar Tausender Miete zahle.«
»An wen?«
»An den Investor, der das Gebäude von der Bank gekauft hat. Durch eine vertragliche Klausel kommt er so lange nicht an das Haus heran, wie er pünktlich seine Miete erhält.«
Ich deutete auf die Schublade, in die Max den Camcorder gelegt hatte. »Auf die Art verdienst du das Geld.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Max nickte.
»Warum?«
»Weil ich nicht weiß, wie ich sonst an die Kohle kommen soll. Mit ehrlicher Arbeit
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