Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
Vom Netzwerk:
Scheinwerferlicht des Opels entriss der Dunkelheit verwirrende Gegenstände: Eine alte Feldhaubitze, ein noch älterer Mörser, ein VW-Kübelwagen aus Wehrmachtstagen und ein Lafettengeschütz aus dem achtzehnten oder neunzehnten Jahrhundert. Der Agila hielt zwischen Kübelwagen und Lafette und wir stiegen aus. Heftiger Wind, durchsetzt mit ein paar vereinzelten Regentropfen, schlug uns entgegen.
    Von einer Sekunde zur anderen umhüllte uns gleißendes Scheinwerferlicht und stach schmerzhaft in meine Augen. Ich konnte nicht anders, als sie zu schließen. Gleichzeitig wandte ich mich ab, weg von dem starken Scheinwerfer. Meine Rechte griff in die Jackentasche und ich zog die PSM.
    Eine blechern-dröhnende Stimme befahl: »Bleiben Sie stehen! Bewegen Sie sich nicht! Bei Widerstand wird von der Waffe Gebrauch gemacht!«
    »Rica, raus aus dem Licht, schnell!« rief ich, sprang hinter den Opel und duckte mich.
    Hier war ich vor dem gleißenden Licht geschützt und konnte die Augen öffnen. Während ich die entsicherte und durchgeladene PSM in der rechten Hand hielt, schirmte ich mit der linken meine Augen ab. Ich sah Rica noch immer an der Fahrerseite stehen, mitten im Lichtkreis des Scheinwerfers.
    »Komm her, verdammt!«, schrie ich sie an, doch sie lachte nur.
    Das Licht wurde schwächer, erlosch aber nicht ganz. Jetzt konnte ich den Scheinwerfer erkennen. Das wuchtige Gerät, groß wie ein Garagentor, war auf das Dach einer Scheune montiert. Aber ich konnte niemanden ausmachen, der es bediente.
    Ein zweite Stimme fiel in Ricas Lachen ein, ein dröhnender Bass, und eine nicht besonders große, aber massige Gestalt trat aus dem Dunkel. Ein Mann um die sechzig, mit einem ausgebleichten Käppi auf dem Quadratschädel. Der Kopf saß unter Auslassung eines Halses direkt auf dem massigen Oberkörper. Der Kerl schien einem Panoptikum entsprungen. Eine Art graues Uniformhemd drohte unter der Erschütterung, in die das Gelächter den mächtigen Bauch versetzte, zu platzen. Eine braune, durch breite Hosenträger fest gehaltene Hose mit rotem Streifenbesatz und kniehohe Leder Stiefel vervollständigten die ungewöhnliche Aufmachung. Am breiten Lederkoppel mit dem großen goldglänzenden Schloss hingen eine altertümliche Pistolentasche aus schwarzem Leder und ein Offizierssäbel.
    »Na, Hugo, wer bist du heute?«, begrüßte Rica ihn.
    »Ein Offizier der Südstaatenartillerie, mein Schatz.«
    »Aha, amerikanischer Unabhängigkeitskrieg.«
    »Bürgerkrieg, Schätzchen, Bürgerkrieg!« Er wandte sich mir zu. »Und wen haben wir da?«
    Ich erhob mich langsam und hatte noch immer die schussbereite PSM in der Hand.
    Beim Anblick der Waffe machte der Dicke große Augen und sagte andächtig: »Pistolet Samosarjadnij Malogbaritnij – kleine Selbstladepistole oder PSM. So haben die Russen dieses Ding genannt, ebenso niedlich wie tödlich. War im alten Osten längst nicht so verbreitet wie die Makarov oder die rumänische M74. Ist schon ein richtiges Sammlerstück. Sie wollen die Kleine nicht zufällig verkaufen?«
    »Weder zufällig noch absichtlich«, sagte ich und deutete mit der Linken auf die Geschütze rings um uns. »Ich habe nur die PSM, Sie dagegen scheinen etwas üppiger bestückt zu sein.«
    »Mein Hobby. Andere sammeln Briefmarken oder Münzen, bei mir sind es Waffen und Militaria. Ich spiele mit dem Gedanken, ein Museum daraus zu machen.« Er nahm Haltung an und salutierte, indem er die Rechte zu seinem Käppi führte. »Hugo Bartsch, Hauptmann außer Dienst.«
    »Welcher Armee?«
    »NVA«, sagte Bartsch in einem Tonfall, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. »Deshalb trage ich jetzt auch die Uniform der Konföderierten. Ich habe etwas übrig für die hoffnungslos Unterlegenen. Sie müssen wissen, dass ich gerade mitten in Gettysburg stecke.« Als ich ihn fragend ansah, fuhr er fort: »Kommen Sie mit, ich zeige es Ihnen!«
    Rica und ich folgten ihm zu den Gebäuden. Meinen zweifelnden Blick beantwortete Rica mit einer besänftigenden, Geduld einfordernden Handbewegung. Ich sicherte die PSM und steckte sie wieder in die Jackentasche. Hugo Bartsch schien eher sonderbar als gefährlich. Beim Betreten des Hauses legte er einen Schalter neben der Eingangstür um, und der Dachscheinwerfer erlosch.
    Vorbei an Schränken und Vitrinen voller Orden, Blankwaffen und Uniformmützen gingen wir in einen großen Raum, dessen Wände mit Fahnen und Gemälden aus dem amerikanischen Bürgerkrieg geschmückt waren. Ein mehrere

Weitere Kostenlose Bücher