Wenn der Golem erwacht

quietschend die Leinwand frei, wahrlich und wahrhaftig begleitet von einem dröhnenden Gongschlag. Hauptmann Hugo Bartsch packte die Dinge mit deutscher Gründlichkeit an.
    Der Filmprojektor hinter uns sandte seinen blassen Lichtstrahl durch den Vorführraum, und sein lautes Surren wurde von scheppernder Marschmusik überlagert. Die Leinwand wurde dunkel, ein paar zitternde Lichtpunkte erschienen, dann die SS-Runen. Ihnen folgte der Hinweis ›Nicht zur öffentlichen Vorführung bestimmt‹ und ein Geheimhaltungsvermerk, der jede Bekanntgabe des Films oder seines Inhalts bei Todesstrafe untersagte, unterzeichnet von ›Reichsführer SS Heinrich Himmler‹.
    Eine markige Stimme wie aus einer alten Wochenschau schwadronierte vom Krieg als größte Bewährungsprobe des deutschen Mannes. Die stärksten und rassisch reinsten Männer deutschen Blutes hätten sich in der SS zusammengefunden, um durch biologische Auslese einen Führungsorden zu schaffen, der das Idealbild des Mannes seiner Vollendung entgegentragen solle. Ausgerechnet an dieser Stelle kam der mickrige Himmler ins Bild, der eine Front von Waffen-SS-Männern abschritt. Der Sprecher lobte den Reichsführer SS als ›Herz und Hirn der SS‹ und als einen ›der wichtigsten Deutschen neben dem Führer‹.
    »Es kann keinen Zweifel geben, dass Männer wie der Führer und der Reichsführer SS den Kampf des deutschen Volkes zum Endsieg führen werden«, donnerte die aufpeitschende Stimme. »Aber der Weg dahin ist dornenreich, besonders zur Zeit, wo das Deutsche Reich von allen Seiten bedrängt wird.« Bilder zerschossener deutscher Panzer an der Ostfront und verwundeter, ausgemergelter Landser auf dem Rückzug wechselten sich ab mit zerbombten Ruinenstädten. »Der gewissenlose Feind scheut nicht davor zurück, deutsche Städte zu bombardieren und Zehntausende wehrloser Frauen, Kinder und alter Menschen in einer einzigen Nacht auszuradieren.« Eine besonders dramatische Musik, irgendwo zwischen Trauermarsch und Wagnergetöse, ergoss sich aus den Lautsprechern.
    »Um den unumgänglichen Endsieg Deutschlands möglichst schnell herbeizuführen, hat die SS das Projekt Balmung ins Leben gerufen. Ziel des geheimen Projekts ist es, die biologische Auslese mit den Mitteln modernster Wissenschaft zu beschleunigen und eine Armee von unbesiegbaren Kämpfern auf die Beine zu stellen. Jeder dieser neuen Soldaten wird Angehöriger einer wahrhaftigen Elite sein, befähigt, es mit mehr als einem Dutzend Feinden zugleich aufzunehmen. So wie einst der Recke Siegfried mit seinem Schwert Balmung die Brüder Schilbung und Nibelung samt zwölf Gefolgsmännern erschlug. An geheimen Orten sind Ärzte und Wissenschaftler damit beschäftigt, Angehörige des SS-Ordens auf ihre Tauglichkeit für das Projekt Balmung zu überprüfen.«
    Bilder fensterloser Räumlichkeiten erschienen. Seriös wirkende Weißkittel untersuchten und vermaßen Männer mit nackten Oberkörpern, machten sich Notizen, ließen die Probanden Kniebeugen und andere Übungen durchführen. Alles sah mehr nach einer Kraft-durch-Freude-Leibesertüchtigung aus als nach wissenschaftlicher Forschung. Die Szenerie wechselte und wurde wieder kriegerisch. Auf einem Kasernenhof standen in Reih und Glied kraftstrotzende Männer, denen man trotz des schwarz-weißen Filmmaterials ihre blonden Haare und blauen Augen anzusehen glaubte. Sie trugen Stahlhelme und Uniformen mit den Kragenspiegeln der Waffen-SS.
    »Mit der nötigen Unterstützung durch die Führung wird bald schon eine vollständige Division Balmung in den Kampf ziehen. Ihre Angehörigen werden dank ihrer besonderen Fähigkeiten in der Lage sein, eine ganze Armee zurückzuschlagen. Denn aus dem Projekt Balmung gehen Soldaten hervor, die keine Furcht und keinen Schmerz kennen, die an Stärke, Gewandtheit und Schnelligkeit jedem anderen vielfach überlegen und deren Sinne geschärft sind.«
    Der Film zeigte die Uniformierten im Einsatz. Sie erstürmten, Maschinenpistolen im Anschlag und immer wieder Feuerstöße aussendend, einen bewaldeten Hügel. Es war reichlich dunkel, ein Gegner nicht zu erkennen, aber die Soldaten rannten und schossen ohne Unterlass.
    »Die wissenschaftlichen Forschungen, die mit der notwendigen Unterstützung bald zum Durchbruch gelangen, werden einen neuen Menschen formen. Der Soldat der Division Balmung stürmt unaufhaltsam vorwärts, denn er verliert selbst in tiefster Dunkelheit nicht die Orientierung, und er sieht auch einen Gegner, der sich in