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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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vollständiger Deckung befindet. So wie diese Männer sieht die Zukunft des deutschen Kriegers aus und der kämpft für die Zukunft des deutschen Volkes!«
    Bei den letzten Worten überschlug sich die Stimme vor Begeisterung, und das Crescendo der Marschmusik schloss mit lärmenden Paukenschlägen ab. Das Bild wurde dunkel, noch einmal blitzten kurz die großen SS-Runen auf. Dann war der Film zu Ende, die Leinwand wieder weiß, und im Vorführraum ging das Licht an.
    Das alles nahm ich nur unterschwellig wahr, zu sehr beschäftigte mich einer der letzten Sätze im Film: »Der Soldat der Division Balmung stürmt unaufhaltsam vorwärts, denn er verliert selbst in tiefster Dunkelheit nicht die Orientierung, und er sieht auch einen Gegner, der sich in vollständiger Deckung befindet.«
    Ich dachte an das, was ich meinen sechsten Sinn nannte, und vergeblich versuchte ich herauszufinden, was ich mit diesem Projekt Balmung zu tun haben mochte. Aber eins erschien mir sicher: Es gab diese Verbindung!
    Ich war so sehr ins Grübeln versunken, dass ich den Mann in der graubraunen Uniform erst bemerkte, als er wohl schon eine Weile neben mir stand.
    »Was hat dein Freund?«, hörte ich seine tiefe Stimme. »Er sieht aus, als hätte er gerade ein Gespenst gesehen.«
    Rica wusste von meinen ungewöhnlichen Fähigkeiten und sagte ausweichend: »Die Sache, an der wir dran sind, könnte sehr gut mit dem Film in Zusammenhang stehen. Wo hast du ihn her?«
    »Von einem verrückten Sammler, so wie ich einer bin. Der Streifen ist nicht gerade ›Citizen Kane‹, aber als historisches Dokument von großer Bedeutung. Das Projekt Balmung war eine der geheimsten Kisten im Dritten Reich. Um den Film zu bekommen, musste ich eine Originaluniform Manfred von Richthof ens eintauschen, inklusive Frontmütze.«
    »Woher hatte dein Bekannter den Film?«, fragte Rica.
    »Das hat er mir nicht verraten, und ich hätte es an seiner Stelle auch nicht getan. Wer seine Quellen herausposaunt, wird auf dem Tauschmarkt bald übergangen.« Ein lautes Knurren ertönte, und Bartsch strich über seinen gewaltigen Bauch. »Essen fassen ist angesagt. Ihr seid herzlich eingeladen!«
    Meine Erwartung, Hugo Bartsch würde jedem einen Schlag Eintopf ins Feldgeschirr pfeffern, wurde angenehm enttäuscht. Die Bockwürste mit Sauerkraut und Kartoffelbrei lagen zwar fern jeder kulinarischen Raffinesse, wurden aber auf echtem Porzellan serviert. Der Hausherr legte zum Essen sogar das Koppel mit den Waffen ab und hängte die speckige Mütze auf einen Haken. Sein Haupthaar war ebenso grau wie dünn, und die nackte Kopfhaut schimmerte deutlich hindurch.
    Die Wände der geräumigen Bauernstube waren mit den Gemälden großer Schlachten geschmückt: englische Brander inmitten der großen spanischen Armada, eine preußische Kürassier-Attacke bei Torgau, Napoleon und sein Stab auf einem Hügel über der Schlacht von Waterloo, konföderierte Kavallerie im Angriff auf eine von Nordstaaten-Zuaven verteidigte Stellung bei Bull Run.
    Ich aß kaum etwas, zu schwer lag mir das eben Gesehene im Magen. Mein Teller war noch voll, als Bartsch sich den ersten Nachschlag auf tat.
    Auch Rica ließ es sich schmecken und sagte mit halb vollem Mund: »Ehrlich gesagt, ich habe von diesem Projekt Balmung noch nie gehört.«
    »Kein Wunder«, lachte Bartsch und öffnete seine dritte Flasche Bier. »Die Nazis haben vermutlich mehr Geheimprojekte angeleiert, als sie während ihrer geplanten tausendjährigen Herrschaft hätten verwirklichen können, und Balmung ist eins der obskursten. Es konnte nur so kranken Köpfen entspringen wie denen von Himmler und seinen Ordens trotteln. Die biologische Auslese mit den Mitteln modernster Wissenschaft beschleunigen und eine Armee von unbesiegbaren Kämpfern auf die Beine stellen – ich bitte euch, das ist doch verrückt! Als hätten die braunen Jungs bei Hitlers allabendlichen Filmvorführungen zu viele Frankenstein-Streifen gesehen.«
    Ich beugte mich über den Tisch zu Bartsch vor. »Für wie verrückt halten Sie das Projekt?«
    Bartsch setzte sein Bierglas ab und wischte mit dem Handrücken den Schaum von seinen Lippen. »Wie meinen Sie?«
    »Wissen Sie etwas darüber, inwieweit das Projekt Balmung in die Tat umgesetzt worden ist?«, präzisierte ich meine Frage.
    »Ich glaube nicht, dass die Nazis besonders viel in dieser Sache zuwege gebracht haben. Der Film stammt aus dem Jahr vierundvierzig, und da fehlte es in Großdeutschland schon an allen Ecken und

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