Wenn der Golem erwacht
und reiße die Fahrertür auf. Mit der linken Hand. Die rechte mit der SIG-Sauer zielt auf den Mann hinter dem Lenkrad, auf Robert Fuchs. Die Vorsichtsmaßnahme ist überflüssig. Fuchs hat sich nicht angeschnallt, und der Aufprall hat ihn übel zugerichtet. Sein Kopf ist gegen die Windschutzscheibe geschlagen. Blutüberströmt hängt der Killer reglos über dem Steuer.
Auf dem Rücksitz liegt der bauchige Pilotenkoffer. Als ich ihn an mich nehme, merke ich, wie schwer er ist. Er muss voll gepackt sein – mit was auch immer. Um den Inhalt kann ich mich später kümmern. Erst mal weg von hier, bevor Fuchs' Komplizen auftauchen. Ich laufe zu meinem Wagen, der ebenfalls auf diesem Parkdeck steht.
»Wohin sind Sie vom INTEC-Tower aus gefahren?«
»Was ist mit dem Koffer geschehen? Wohin haben Sie ihn gebracht?«
»Der Koffer! Wo ist er?«
»Haben Sie sich den Inhalt angesehen?«
Während ich vor einer roten Ampel warte, sehe ich rechts vorn zwei Telefonzellen. Kurz überlege ich, ob ich anhalten soll, um Polizei oder Feuerwehr darüber zu informieren, dass ganz oben im INTEC-Tower neun vermutlich tote Menschen liegen und möglicherweise eine zehnte Leiche in der Tiefgarage zu finden ist.
Aber auf den unterirdischen Parkdecks gibt es überall Überwachungskameras. Längst muss den Behörden bekannt sein, was am Potsdamer Platz vorgefallen ist. Und dann hat die SGB vielleicht schon das Kennzeichen meines Mietwagens. Ich muss mich beeilen, um den Koffer in Sicherheit zu bringen.
Grün. Ich fahre weiter, halte erst in einer schmalen, dunklen Nebenstraße, um die Schnappverschlüsse des Pilotenkoffers zu öffnen.
Der Inhalt besteht aus Papieren, aus dicken Aktenmappen. Hastig blättere ich einige der Mappen durch und beginne zu begreifen, weshalb die Papiere so wichtig sind. Wichtig genug, um ein Blutbad anzurichten.
Fieberhaft überlege ich, was ich mit meiner Beute machen soll.
»Was haben Sie mit den Papieren gemacht?«
»Wohin sind Sie dann gefahren?«
»Wo befinden sich die Papiere jetzt?«
»Der Koffer! Wohin haben Sie den Koffer gebracht?«
Vor mir taucht das große, eigentümliche Gebäude auf. Ein riesiger dunkler Fleck im glitzernden Bild des nächtlichen Berlins. In der Eile fällt mir kein besseres Versteck ein.
Ich stelle den VW Bora in der dunklen Einfahrt ab und steige aus, den Koffer in einer Hand. Nichts rührt sich, vielleicht ist niemand zu Hause.
Niemand bis auf den Hund, dessen Gebell plötzlich die Nacht zerreißt.
»Welcher Hund? Wem gehört er?«
»Wo steht dieses Gebäude? Haben Sie den Koffer dort versteckt?«
»Wo sind die Papiere, die Sie Fuchs abgenommen haben?«
»Erinnern Sie sich! Sprechen Sie!«
In mir weigerte sich etwas, die Fragen zu beantworten, den Aufforderungen nachzukommen. Ich stand kurz davor, mich zu verraten.
Mit aller Macht biss ich die Zähne zusammen und riss die Augen auf. Über mir waren die Gesichter von Ambeus und Ira.
Und noch ein Gesicht, das sich trotz seiner Rundlichkeit die Schärfe bewahrt hatte. Dieser Eindruck lag zum Teil an der leicht gebogenen Nase, die der Mann sich in seiner Jugend gebrochen hatte.
Damals, im See …
Die Segelboote kreuzen gefährlich nah vor mir. Erst da wird mir bewusst, wie weit ich geschwommen bin. Die Angst hat mich hinausgetrieben.
Die Angst vor ihm!
Ich lege mich auf den Rücken und schaue zurück zum Ufer. Unser großes Haus am Wannsee ist ein weißer Fleck inmitten von Grün. Eine Gestalt steht vor dem Haus und winkt. Mutter!
Zeit zum Abendessen. Die Sonne steht schon tief und ihre rote Scheibe spiegelt sich optisch verzerrt und in die Länge gezogen auf dem See. Plötzlich spüre ich, wie meine Muskeln schmerzen, und ich habe Angst, hier draußen einen Krampf zu kriegen.
Zurück!
Ich muss mich zwingen, die Schwimmbewegungen langsam und gleichmäßig auszuführen. Erst als seine Gestalt vor mir aus dem Wasser wächst, habe ich es nicht mehr eilig, an Land zu kommen. Seine Nase ist seltsam nach unten gebogen, und Blut schießt aus den Nasenlöchern.
Mutter sieht uns zu. Er wird es nicht wagen, mich anzugreifen. Ein Stück von ihm entfernt wate ich an Land, wo ich mich völlig ausgepumpt zu Boden fallen lasse. Mutter ist bleich, weiß nicht, um wen von uns sie sich zuerst kümmern soll. Sie wendet sich um, ruft unseren Vater, der hinten am Grill steht.
Als seine kräftige Gestalt sich über mich beugt, krampft sich alles in mir zusammen und ein dicker Kloß verstopft meine Kehle.
»Ist das wahr, hast
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