Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
Eine Frau aufzugabeln und mit ihr nach Hause schleichen. Das alles in der Hoffnung, der Casus würde ihm nicht folgen, obwohl er längst wusste, dass der Casus auf ihn „ausgerichtet“ war, wie irgendein übernatürliches Ortungssystem. Und selbst wenn alles klappte, was sollte er dann tun? Die Finger kreuzen und beten, dass sie nichts davon merkte, wenn er seine Reißzähne in ihren Hals grub?
Ja, super Planung, Buchanan. Du bist echt ein Mordsstratege. Mein Glückwunsch!
„Halt’s Maul“, murmelte er leise vor sich hin. Dass er jetzt schon mit den Stimmen in seinem Kopf sprach, war vermutlich ein Hinweis, dass er endgültig den Verstand verlor.
Er stieß sich von der Wand ab. „Mir reicht’s jetzt hier draußen.“
Aber er hatte noch keinen Schritt getan, als Scott ihn an der Schulter packte und wieder gegen die Garage schleuderte. „Sie gehen nirgendwo hin, solange wir nicht alles durchgesprochen haben.“
Ian war wütend auf sich selbst, weil er zu erschöpft war, um sich noch auf einen weiteren Kampf einzulassen. „Wir haben doch die ganze Woche geredet. Was zum Teufel wollen Sie denn noch von mir?“
Scotts sonstige Gelassenheit wich einem gehässigen finsteren Blick. „Ich will, dass Sie endlich aufhören, gegen Ihre eigene Identität anzukämpfen. Damit verschwenden Sie nicht nur unsere Zeit, Sie bringen auch das Leben unschuldiger Menschen in Gefahr. Wenn Sie sich nicht endlich zusammenreißen und mit diesem Blödsinn aufhören, werden Sie nie in der Lage sein, den Casus zu besiegen. Der wird Sie in Stücke reißen, ehe Sie überhaupt merken, was passiert, und dann wird er sich Molly vornehmen. Wollen Sie das?“
Gewaltige Wut stieg in Ian auf, er war fast erstaunt, dass ihm der Schädel nicht platzte. „Lassen Sie Molly aus dem Spiel.“
„Warum sollte ich?“, sagte Scott herausfordernd.
„Weil sie nicht Ihr Problem ist!“
„Nein, Sie sind ein …“ Der Satz blieb in der Luft hängen, als Scott über seine Schulter blickte. Ian versuchte zu erkennen, was ihn abgelenkt hatte. Molly kam um die L-förmige Garage auf sie zu, und Ian kniff die Augen zusammen. Sie war so süß und entzückend, dass es sie unmöglich in diesen makabren Albtraum verschlagen haben konnte, wie ein Stiefmütterchen in einem Tal voller Brennnesseln oder ein Lamm, das man herzlos den Wölfen zum Fraß vorwarf. Beim Anblick dieser zarten Verletzlichkeit zog sich Ian schmerzvoll der Magen zusammen. Er hätte sie so gern in die Arme genommen und bis zu seinem letzten Atemzug beschützt – nur war er in diesem Drama gar nicht der Held, sondern einer von denen, vor denen sie Schutz brauchte.
Und doch hatte sie überhaupt keine Angst vor ihm. Das konnte er spüren – sogar riechen –, und diese Tatsache faszinierte ihn mehr als alles andere. Sie konnte so endlos entzückend sein, und gleichzeitig so verdammt stark und furchtlos.
Nach kurzer stummer Verständigung traten Quinn und Shrader auf Molly zu, um ihr den Weg zu versperren, und ließen Scott und Ian allein zurück. Offenbar stritt sie sich mit den beiden, warf Ian und dem Briten immer wieder besorgte Blicke zu. Scott hatte Ian losgelassen, lehnte sich jetzt lässig mit der Schulter an die Wand. Molly musterte Ian voller Hoffnung und Sorge, und er setzte angestrengt einen gleichgültigen Gesichtsausdruck auf, obwohl er fühlte, wie seine Gesichtsmuskeln unter der Haut zuckten. Nach dem, was am Montag beinahe vorgefallen war, war er ihr tagelang aus dem Weg gegangen, hatte dafür gesorgt, niemals mit ihr allein zu sein, und er merkte natürlich, wie frustriert und verletzt sie war, obwohl man es ihr nicht ansehen konnte. Sie war geradezu herzzerreißend ehrlich zu ihm gewesen, aber er hatte sich abgewendet. Nicht nur ein Mal, sondern zwei Mal. Jede Nacht erwartete er, sie würde in sein Zimmer stürmen, ihm eine runterhauen und sagen, er solle sich zum Teufel scheren. Aber sie tat nichts dergleichen.
Sie hatte nicht von ihm gefordert, sich nicht länger wie der letzte Arsch aufzuführen, und er wusste nicht, ob er darüber erzürnt oder erleichtert sein sollte.
Man weiß ja nie. Vielleicht hat sie endlich erkannt, was du wirklich bist, und ihre Meinung geändert. Vielleicht will sie dich überhaupt nicht mehr. Vielleicht hat sie jemand anderen gefunden.
Ian biss die Zähne zusammen und bekämpfte den Drang, sofort zu ihr zu rennen. Währenddessen heulte der Merrick in ihm vor Wut so laut auf, dass es bis in seine Schädeldecke echote. Der Merrick wollte
Weitere Kostenlose Bücher