Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
willst, es wird nichts nützen“, rief Quinn vom Dach der Garage herunter, von wo er das Training seit einer Stunde beobachtete. „Ich erzähle Aiden schon seit Jahren, dass er sowieso keins hat.“
Der Watchman fletschte die Zähne, und Ian, der ihn immer noch im Griff hatte, konnte spüren, wie Shrader plötzlich stärker wurde, die Muskeln platzten beinahe durch seine Haut. Er entwand sich seinem Griff und kickte ihm die Füße unter dem Leib weg.
Ian stürzte zu Boden, Kopf voran. Sein Schädel knallte auf den Staub, und ein fürchterlicher Schmerz explodierte in seinem Kopf. Er konnte gerade noch Luft ablassen, schon legte Shrader ihm eine Hand auf den Mund. Mit einer schnellen Bewegung riss der Watchman ihm den Kopf zur Seite.
Als er wieder zu sich kam, musste er die Augen zusammenkneifen, so sehr blendete ihn das grelle Sonnenlicht. Der Himmel war kristallblau, die morgendlichen Wolken hatten sich längst verzogen, es herrschte wieder Rekordhitze. Zu seiner Überraschung standen Shrader, Quinn und Scott um seinen hingestreckten Körper herum. Sie starrten auf ihn herab, der eine mit unverfälschter Verachtung im Gesicht, die anderen mit Enttäuschung oder Verstimmung.
„Was hast du mit mir gemacht?“, krächzte er, ohne die geringste Ahnung, wie lange er ohnmächtig gewesen war.
„Das ist ein ganz einfacher Trick, wenn man weiß, wie’s geht“, höhnte Shrader. „Und, übrigens, du hast verloren. Schon wieder .“
„Kein Scheiß“, grunzte Ian und setzte sich mühsam auf. In seinem Kopf drehte sich alles, und sein Magen fühlte sich an, als hätte er seit Tagen nichts mehr gegessen.
„Jemand, der sich schon so oft geprügelt hat wie du, sollte doch eigentlich ein ernsterer Gegner für mich sein, würde ich meinen“, fügte Shrader hinzu. „Aber am Ende bist du genauso schwächlich wie jeder andere Mensch, mit dem ich es je zu tun hatte.“
Ian rieb sich eine Beule am Hinterkopf. „Du willst mir einfach auf den Sack gehen?“
„Ist das so offensichtlich?“, sagte Quinn.
Scott äußerste sich jetzt zum ersten Mal: „Offensichtlich ist etwas anderes, nämlich dass Sie der starrköpfigste Esel sind, der mir je untergekommen ist.“
„Gehen Sie doch zur Hölle.“ Ian kam schwerfällig auf die Füße. Benommen stützte er sich gegen die Garagenmauer und würgte den Brechreiz runter.
„Er könnte Sie in diesem Augenblick beobachten“, warnte Scott. „Und zusehen, wie Sie in den Arsch getreten werden. Er wird annehmen, Sie umzubringen wäre Mitleid erregend einfach. Sie sollten eigentlich besser werden, nicht schlechter.“
Ian wollte widersprechen, aber er hatte ja recht. Er war mit jedem Tag schwächer geworden, und jetzt fühlte er sich, als wäre er, hinter einen Wagen gebunden, durch die Wüste geschleift worden.
Obwohl er aus purer Erschöpfung endlich schlafen konnte – zum Glück sogar ohne einen dieser wiederkehrenden Träume, die er am Wochenende gehabt hatte –, fühlte er sich innerlich ganz flau und niedergedrückt, wie jemand, der gerade eine schwere Grippe hinter sich hat. Arme und Beine waren schwer, die Muskeln verkrampften sich bei jeder Bewegung.
Dabei weißt du genau, was du jetzt brauchst, du widerspenstiger Bastard. Und sie ist da in diesem großen alten Haus … und wartet auf dich.
Ian schüttelte diesen ebenso unerträglichen wie gefährlichen Gedanken ab und atmete tief durch, aber er konnte spüren, wie der Merrick an seinem Inneren rüttelte wie an Käfigstangen, wie er voller Zorn seine Freilassung verlangte. Mehr als bereit, die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen. Er wollte frei sein, jetzt sofort, war aber noch nicht stark genug, um sich seine Freiheit erkämpfen zu können. Seit dem letzten Traum, als der Merrick ihr Blut trank, war einige Zeit vergangen, seitdem saugte der Blutdurst wie eine Art Parasit sie beide aus … Ian war klar, dass etwas geschehen musste. Er hatte nur keine Ahnung, was. Seit so vielen Tagen hatte er nun diesen Durst bekämpft. Wenn er sich jetzt erlaubte, seine Reißzähne in Mollys Kehle zu versenken, würde er sich in einen ausgehungerten Verrückten verwandeln.
Also, wenn das so ist, musst du dir eben eine andere Frau besorgen …
Der irritierende Gedanke kroch wie etwas Kaltes und Schleimiges durch seinen Verstand, aber er kam ihm nicht zum ersten Mal. In den letzten Tagen hatte Ian tatsächlich ein paarmal überlegt, in seinen Transporter zu steigen, in die nächste Stadt zu fahren und sich eine Bar zu suchen.
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