Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
Methoden aus und verfiel letztlich doch auf das beste und altbewährte Mittel, um die Schüler zur Mitarbeit zu bewegen. Er versprach uns: «Wenn ihr bei meiner Lehrprobe gut mitmacht, dann bringe ich danach Süßigkeiten mit.»
Die erste Lektion hatte er also schon gelernt. Die Schüler bestechen, solange sie einem etwas anhaben können. So eine Lehrprobe ist für Referendare verdammt wichtig, und als Schüler hat man dort die eine oder andere Gelegenheit, den weiteren Werdegang des Prüflings zu versauen. Und ja, das wird ausgenutzt. Später, wenn der Lehrer einmal im Job ist, hat er alle Macht der Welt über die Schüler, da muss man sich eben dann, wenn es noch geht, zur Wehr setzen.
Wir versprachen also, in der Lehrprobe ganz lieb zu sein oder zumindest relativ pünktlich zu erscheinen. Der Tag der Lehrprobe rückte näher. Phase 3 der Lehrerentstehung nahm ihren Lauf: die alles entscheidende Prüfung. Während meiner gesamten Schullaufbahn gab es übrigens keinen einzigen Lehrer, der diese Prüfung nicht bestanden hätte. Alle kamen irgendwie durch, und bei manchen fragte ich mich dann doch im Nachhinein: Hätte ich das nicht verhindern müssen?! Allein schon aus Solidarität gegenüber den zukünftigen Schülern dieses Lehrers?
Herr Weitzel begann seine Lehrprobe mit einer kurzen Filmsequenz. Ein positiver Eindruck zu Beginn, repräsentiert durch den Einsatz verschiedener Medien, das war wichtig, und das wusste Herr Weitzel. Er hätte aber vielleicht doch vor dem Filmstart wenigstens mal «Guten Morgen» sagen oder zumindest so lange warten können, bis seine Prüfer überhaupt da waren. Die waren nämlich auch am Ende der Filmsequenz immer noch nicht erschienen. Da fiel es Herrn Weitzel siedend heiß ein: «Scheiße, verdammte Kacke, so ein Mist – das habt ihr jetzt mal nicht gehört, Leute. Ich sollte die Prüfer ja vom Lehrerzimmer abholen. Du heiliger Affenhintern.»
Er hetzte also aus der Klasse und kehrte wenig später mit hochrotem Kopf und in Begleitung dreier streng dreinblickender Prüfer zurück. Nun vollends verunsichert, setzte er den Unterricht fort und zeigte die Filmsequenz nach einem kurzen Kampf mit dem DVD -Player ein zweites Mal. Danach gelang es ihm gerade noch, eine Folie auf den Tageslichtprojektor zu legen und einige dahingestotterte Fragen zu stellen, die er so unverständlich vor sich her nuschelte, dass kein Schüler auch nur die Chance hatte, sich zu melden. Schließlich wagte es Ramira, ihre Hand zu heben. Herr Weitzels Augen strahlten sie hoffnungsvoll an. Sollte dies der erste sinnbringende Wortbeitrag der Stunde werden? «Äh, ja, Rafaela, bitte. Äh, Frage beantworten? Du? Äh, gerne, du hast, äh, das, äh, Wort.»
Und Ramira antwortete selbstsicher: «Also erst mal heiße ich Ramira und nicht Rafaela.» – Herr Weitzels Gesicht wurde noch röter, als es ohnehin schon war. – «Zweitens habe ich keine ihrer Fragen verstanden.» – Herr Weitzels Gesicht wurde nun weiß. – «Und drittens wollte ich eigentlich nur fragen, ob ich mal auf Klo gehen könnte?» – Herr Weitzel wurde grün und nickte matt.
Kaum hatte Ramira den Raum verlassen, gongte es zum Ende der Stunde, wir Schüler sprangen erleichtert auf und liefen zur Tür, Herr Weitzel warf uns noch verzweifelt einen Stapel Arbeitsblätter mit den Hausaufgaben hinterher, wobei er sich an der Birne des Projektors die Hand verbrannte. Er bewahrte einigermaßen Haltung vor den noch anwesenden Prüfern, was sich schlagartig änderte, als Daniela noch einmal zurückkam, die Prüfer und Herrn Weitzel anschaute und sagte: «Sie denken aber an die versprochenen Süßigkeiten nächste Stunde, oder!?» Herr Weitzel war sich in diesem Moment wohl nicht so sicher, ob es noch eine nächste Stunde geben würde und schien der Ohnmacht näherzustehen als ein Patient unter Vollnarkose auf einem OP -Tisch im Krankenhaus.
Das Ergebnis der Prüfung erreichte uns Schüler so schnell wie überraschend: Herr Weitzel hatte bestanden. Mit einer 3 –. Was bitte muss man anstellen, um durchzufallen? Lehrer werden anscheinend doch dringender gesucht als eine Lösung im Nahostkonflikt, denn Herr Weitzel war durchaus kein Einzelfall. Aber was soll man schon tun, wenn Lehrermangel herrscht und man keine Alternativen hat?! Da muss man halt alle nehmen, die sich für diesen Job bereit erklären, und selbst dann gibt es immer noch nicht genug.
Deshalb ist irgendein schlauer Kopf auf eine geradezu geniale Idee gekommen: Quereinsteiger.
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