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Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Titel: Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malte Pieper
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mitfahren, war aber womöglich schon am Exkursionsziel angelangt, also doch dabei und musste anschließend den blauen Zettel zur nachträglichen Beurlaubung ausfüllen. Das ging aber nur höchstens an drei Tagen im Jahr.
    Ein herrlicher Papierkramsalat. Ganz nebenbei waren diese Zettel trotz der Farbbezeichnungen übrigens alle weiß, weil die Schule natürlich aus Kostengründen nicht auf buntem Papier drucken wollte. Auch sonst sahen die Zettel komplett gleich aus, abgesehen davon, dass obendrüber eben «Grüner Zettel», «Roter Zettel» usw. gedruckt stand. Ein Durcheinander war vorprogrammiert.
    Der Höhepunkt dieser Verwirrung wurde erreicht, als Sven einmal wegen eines vorhersehbaren Behördengangs fehlte (gelber und roter Zettel), nach dem Behördengang aber an einer Exkursion teilnahm (grüner Zettel), den grünen Zettel aber vergessen hatte (nachträglich den blauen Zettel ausfüllen), ihm vor der Exkursion aber noch schlecht wurde (weißer Zettel) und er zwar keine Klausur schrieb, aber trotzdem ein ärztliches Attest wegen der dann verpassten Exkursion brauchte, welches er natürlich nicht hatte, und ihm kein Lehrer die Entschuldigungen unterschreiben wollte, weil die einen glaubten, er wäre auf Exkursion gewesen, der Exkursionslehrer ihn aber als krank eingetragen hatte. Am sinnvollsten war es in solchen Fällen, einfach aufzugeben und ein paar unentschuldigte Fehlstunden zu akzeptieren. Und vielleicht findet irgendwann ja mal eine Entbürokratisierung statt, und man muss nur noch einen Zettel vorlegen – die Farbe ist dann auch nicht mehr wichtig. Auf diesem Zettel steht dann ganz simpel nur noch: «Konnte nicht kommen.» Unterschrift drunter. Fertig.
    Bitte Haltung annehmen
    Es war ein ganz normaler Schultag. Ich saß im Englischunterricht bei Herrn Lottenbach und malte kleine Kreise und Vierecke in mein Heft. Den größten Erfolg des bisherigen Schultags hatte ich eine Stunde vorher verzeichnen können: Ich hatte das Haus vom Nikolaus zwanzig Mal hintereinander fehlerfrei am Stück gemalt. Genug Leistung für einen Schulvormittag.
    Herr Lottenbach sprach indes über Migration in England, und ich fing an, interessiert die Simpsons-Uhr über der Tafel zu beobachten. Sie zeigte fünf nach neun; der Stundenzeiger pikste dabei Homer Simpson in den Bauch. Trotzdem winkte mir Homer fröhlich und davon völlig unbeeindruckt zu, was auch daran liegen kann, dass er ja nur aufgemalt war.
    Mittlerweile war Herr Lottenbach bei der Multikulti-Gesellschaft Englands angekommen und sprach über Parallelgesellschaften und Integrationsprobleme. Der Minutenzeiger der Uhr spießte sich in diesem Moment in das rechte Auge von Homer Simpson.
    Und es kam, wie es kommen musste, wenn ein Lehrer über Migration sprach: Herr Lottenbach fragte uns nach unserer Meinung. Das ist ja im Grunde genommen nichts Verwerfliches, im Gegenteil, wir sollten ja lernen, uns mit einem komplizierten Sachverhalt differenziert auseinanderzusetzen und uns eine Meinung zu bilden. Allerdings fragte er dabei nicht die gesamte Klasse, sondern richtete sich speziell an Mitschüler mit Migrationshintergrund. Dass diese oft schon seit Generationen in Deutschland wohnten, war egal. Herr Lottenbach wollte partout nur ihre Meinung zu dem Thema hören und betrachtete dies vermutlich als seinen Beitrag zur erfolgreichen Integration.
    Da dies aber jeder Lehrer so sah, taten mir Orhan, Fabio und Co schon echt leid. Orhan brachte das einmal ganz schön auf den Punkt: «Ey, ich muss immer ’ne Meinung haben zu allem, was mit Ausländern zu tun hat. Mir is doch scheißegal, was manche Ausländer machen. Warum muss immer ich diese blöden Fragen beantworten?» Er hatte recht. Zu allen Themen, die in Richtung Migration und Integration gingen, mussten Mitschüler mit Migrationshintergrund eine Haltung annehmen. Egal, ob sie über das Thema irgendetwas wussten oder nicht. Der Nachname Gonzalez befähigte automatisch dazu, zum Drogenkrieg in Mexiko Stellung zu nehmen, auch wenn man gar nicht aus diesem mittelamerikanischen Land kam. Ein südländisches Aussehen verpflichtete zur Meinungsäußerung über Integrationsdebatten. Im Gegensatz dazu fragte kein Lehrer beim Thema Übergewicht den dicken Bertie, ob er nicht mal dazu Stellung nehmen möchte. Das empfand man als unangebracht.
    Nach einigen Meinungsäußerungen durch Mitschüler mit Migrationshintergrund überlegte ich, ob ich mir nicht auch eine ausländische Herkunft erfinden sollte, um mitreden zu dürfen.

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