Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
Ich hätte ja sagen können, ich käme aus Holland, und meine Eltern hätten eine sehr beschwerliche Einwanderung nach Deutschland hinter sich gebracht – wenn man aus den Niederlanden kommt, geht es schließlich immer bergauf, wenn man nach Deutschland will, das ist mühsam genug.
Zum Glück kam ich nicht dazu, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen und mich damit lächerlich zu machen, denn in diesem Moment bohrte sich der Minutenzeiger der Uhr in Homer Simpsons rechten Fuß: 9 : 35 Uhr, Pause.
Im Rausgehen hörte ich noch, wie Herr Lottenbach Orhan ansprach: «Warte mal kurz. Wie ist das eigentlich für dich, hier in Deutschland zu leben?» Bei solchen Fragen denke ich immer: Mein Gott, was soll er denn darauf wohl antworten? Er kennt es doch nicht anders. Soll er sagen: «Ja, es ist ganz toll. Danke, dass ihr meine Großeltern damals aufgenommen habt, sonst würde ich jetzt in meinem Ursprungsland in einer Wellblechhütte hocken und auf dem Müll nach Nahrungsmitteln suchen.»
Warum glauben immer alle, es mache Migranten Spaß, jeden Tag die Lebensgeschichte ihrer Eltern und Großeltern zu erzählen? Warum reduziert man denn Kinder, die ihr ganzes Leben lang in Deutschland leben, auf die Herkunft ihrer Ahnen?
Das Wort Migrant wird mittlerweile so abwertend benutzt, dass es in wenigen Jahren schon als Schimpfwort gelten könnte, wenn wir nicht aufpassen. Das wäre dann so, als würde man einen Dortmunder jeden Tag über die Vergangenheit seiner Eltern in Gelsenkirchen ausfragen und ihn Schalker nennen. Und wer einmal in Schalke oder Dortmund war, der weiß – das möchte man nicht.
Mein Lineal weiß mehr als ich
«Schummeln ist nur dann erlaubt, wenn ihr euch nicht erwischen lasst», pflegten einige unserer Lehrer vor Klassenarbeiten gerne zu sagen. Und tatsächlich: In den seltensten Fällen bemerkten sie unser Pfuschen und Abschreiben. Wichtig war, dass man sich gut vorbereitete. Die einen schrieben sich Informationen auf kleine Spickzettel, andere beschrifteten ihre Radiergummis und Lineale mit Formeln oder Vokabeln. Durfte man ein Wörterbuch oder eine Formelsammlung mit in die Klausur nehmen, so erweiterte dies den Spickzettelschatz natürlich um einiges. Wie es manche Leute schafften, eine komplette Analyse einer Deutschlektüre auf ihrem Lineal unterzubringen, und vor allem, wie sie es vollbrachten, diesen sehr klein geschriebenen Text dann wieder zu entziffern, blieb mir allerdings ein Rätsel.
Viele von uns hätten wahrscheinlich sofort ohne weiteres bei etlichen Geheimdiensten als Agenten anfangen können. Das Verstecken von Botschaften auf Flaschenetiketten, Taschentüchern oder im Pausenbrot konnten die meisten schließlich schon aus dem Effeff.
Und wenn man mal etwas nicht im Voraus notiert hatte, dann schaute man halt mal kurz auf die Klausur des Nebenmannes oder ließ sich etwas vorsagen. Dumm nur, wer sogar den Namen des Sitznachbarn mit abschreibt. Da war es schon besser, man verließ kurz den Raum, um auf Toilette zu gehen, und nahm per Handy kurz Kontakt mit jemandem auf, der das Klausurfach gut beherrschte. Da halfen größere Geschwister oder Freunde aus Parallelklassen gerne aus. Man musste schließlich zusammenhalten.
Ich selbst war ein unglaublich schlechter Schummler. Versuchte ich es aber dennoch einmal, so konnte ich sicher sein, dass kurz vor Beginn der Arbeit der Lehrer sagte: «Malte, setz dich doch bitte mal hier vorne hin. Da hinten sitzt ihr zu viert so eng.» Na toll! Direkt vor der Nase des Lehrers. Wie sollte ich jetzt meinen Radiergummi mit den Formeln drauf rausholen? Bei meinem Glück mussten wir natürlich in der Klausur etwas zeichnen, ich vermalte mich prompt und war gezwungen, mit dem Radieren zu warten, bis der Lehrer mal kurz in den hinteren Teil der Klasse gegangen war, um eine Frage zu beantworten. Kaum hatte ich das geschafft, wurde in der nächsten Frage eine Formel abgefragt, die mir partout nicht einfallen wollte. Sie hatte bis vor kurzem zwar noch auf meinem Radiergummi gestanden, war jetzt allerdings abradiert.
Ich beglückwünschte mich innerlich zu dieser genialen Glanzleistung und beschloss, demnächst wieder mein Lineal vollzuschreiben.
Für andere war das Abschreiben hingegen reine Routine, und ich weiß auch gar nicht, was Lehrer dagegen haben. Die meisten Spickzettel werden in der Klassenarbeit sowieso nicht mehr ausgepackt und auch nicht gebraucht, weil man sich alleine durch das Schreiben dieser Zettel so intensiv mit dem Stoff
Weitere Kostenlose Bücher