Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
die tatsächlichen Fähigkeiten so falsch einzuschätzen, dass die Diagnose Schizophrenie noch ein Kompliment wäre.
Die Klausurvorbereitung beginnt mit der Phase der Distanzierung. In diesem Zeitraum wird mit fadenscheinigen Argumenten und falschen Hoffnungen die Zeit zwischen der anstehenden Klausur und der Gegenwart künstlich verlängert. «Da lern ich noch nicht für, das ist doch noch voll lange hin» ist ein in dieser Phase oft gehörter Satz. Dass rechtzeitiges und organisiertes Lernen zu einer erfolgreichen Klassenarbeit führen könnten, erscheint den meisten so unwahrscheinlich wie die Behauptung, der FC Köln könne bald deutscher Meister werden.
In der zweiten Phase, die meist eine bis zwei Wochen vor der Prüfung beginnt, fasst der Schüler den Vorsatz, diesmal aber wirklich ganz viel zu lernen und sich voll reinzuhängen. Diese Zeit ist die Phase der autosuggestiven Irreführung, auf Deutsch: der ordentlichen Selbstverarschung. Gibt es tatsächlich einen Schüler, der glaubt, er würde für die anstehende Arbeit mehr lernen als für die vorangegangenen? Zwar mag es einige Ausnahmen geben, aber die Regel ist doch eher eine Atomkraftwerkmentalität: Die Einsicht in die eigenen Versäumnisse kommt erst, wenn alles zu spät ist.
In diesem Zeitraum beginnen auch die Lehrer mit eingeschobenen Wiederholungsphasen und Übungsblättern die schulische Betriebsamkeit zu erhöhen. Allerdings nur die Betriebsamkeit des Lehrerkopierers, denn von den Schülern kann zu diesem Zeitpunkt nicht erwartet werden, dass sie sich schon mit dem Klausurstoff beschäftigen. Die besonders gewissenhaften unter ihnen heften die Übungsblätter wenigstens in ihre Ordner.
Dieser letzte Schritt wird dann enorm wichtig in der Phase der tatsächlichen Vorbereitung. Denn da können die Schüler, die das Blatt nicht abgeheftet haben, sich ebendieses von ihren ordentlicheren Mitschülern kopieren. Damit endet allerdings die tatsächliche Vorbereitung schon, denn bearbeitet wird das Blatt deswegen noch lange nicht.
Dies passiert erst beim Einsetzen des Bulimie-Lernens. Bei dieser Lernform wird am Vorabend einer Klausur möglichst viel Stoff ins Hirn geprügelt, sodass man mit viel Glück die wichtigsten Sachen am nächsten Tag vielleicht noch weiß und schwallartig von sich geben kann. Anschließend ist das Erlernte schon wieder vergessen. Nachhaltigkeit geht anders, aber für die Schule reicht es – und anders ist die große Menge an Schulstoff ja auch oft gar nicht mehr zu bewältigen. Wenn man in jedem Fach so lernen würde, wie man es sollte, um einen möglichst großen Lerneffekt zu erzielen, bräuchte man eine Zeitmaschine, um einen Tag mehrfach erleben zu können, denn vierundzwanzig Stunden reichen dann nicht mehr aus. In Zukunft wird das mit G 8 nicht besser werden. Die kommenden Schülergenerationen werden vermutlich nur noch auf kurzfristiges Lernen und schnelles Vergessen angewiesen sein. Irgendwann wird das die menschliche Gedächtnisleistung überstrapazieren: Ein normales Schülergehirn schaltet einfach auf Standby und verliert sämtliche Merkfähigkeit.
Doch zurück zur Gegenwart: Etwa eine Stunde vor einer Klassenarbeit tritt die Last-Minute-Phase ein. Bei der einen Hälfte der Schülerschaft bedeutet dies, dass sie auf den letzten Drücker noch etwas lernen wollen, bei den anderen steht «Last-Minute» für die kurzfristige Suche nach einer Klausurumgehungsmöglichkeit, entweder durch eine anonyme Flucht ins Ausland oder – weitaus häufiger – in die Arztpraxis des Vertrauens. Natürlich mit dem stolzen Vorsatz, für die Nachschreibeklausur dann ganz viel lernen zu wollen und damit auch frühzeitig anzufangen.
Die Last-Minute-Lerner gehen hingegen direkt in die Panikphase über. Denn natürlich bringt ein Lernen auf den letzten Drücker nicht das Geringste. Bald wird man auf sich allein gestellt sein. Diese Vorstellung löst gerade bei Mädchen schlimme Angstzustände aus. Sie beginnen auf den Nägeln zu kauen, sich die Haare zu richten und immer wieder zu verschiedenen Freundinnen zu laufen, um ihnen wahnsinnig aufschlussreiche Botschaften mitzuteilen. Gerne verwendet werden dabei Sätze wie: «Oh mein Gott! Ich kann gaaaaar nichts, Leute. Ich hab überhaupt nicht gelernt. Das wird mein Untergang. What the fuck! Ey, ich schwör, ich steeeerbeeee.» Dieser interessanten Selbstanalyse folgen dann oft letzte Fragen an Schüler, von denen eine gewisse Vorbereitung erwartet wird. Ob sie dabei nur auf Beruhigung
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