Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
Linienbus – EINEM LINIENBUS – dorthin gefahren! Eine halbe Stunde Fahrtzeit mit der Linie 65 . Was für eine Reise! Manch einer von uns hatte jeden Morgen eine längere Anfahrt zur Schule als zu dieser Jugendherberge.
Als wir in Steckenborn ankamen und das Schullandheim betraten, wurden wir direkt von einem freundlichen Herbergsvater mit den Worten «So, jetzt erst mal die Hausordnung!» empfangen. Keine Begrüßung. Kein «Hallo, schön, dass ihr da seid». Nein, erst mal die Regeln. Kurz zusammengefasst lauteten sie: Alles, was Spaß versprach, ist verboten, und erlaubt ist das, was eh keiner machen will.
Ich glaube, Herbergsväter und -mütter sind ehemalige Gefängniswärter, die aus dem Knast aus Gründen des Häftlingsschutzes und wegen zu großer Unmenschlichkeit herausgeflogen sind. Nach einer kurzen Weiterbildung mit dem Titel «Repression – wie man Kindern den Spaß am Leben nimmt» können sie dann direkt im nächsten Schullandheim anfangen.
Im Gegensatz zu diesem Herbergsvater stand die recht betagte Köchin des Hauses. Zwar beruhte das Ganze auf Selbstversorgung, und wir mussten immer brav Küchendienst verrichten, aber diese liebe alte Dame war immer da und kochte mit. Wahrscheinlich hatte sie sich irgendwann einmal in die Küche geschlichen und ist dann einfach dort geblieben. Der Herbergsvater hatte sie wahrscheinlich durchaus bemerkt, aber weil sie keinen Dreck machte und immer aufräumte, durfte sie bleiben. Und sie kochte wirklich gut! Das einzige Problem war eine gewisse, sicherlich altersbedingte Vergesslichkeit. Eigentlich nicht weiter schlimm. Blöd nur, wenn man während des Kochens zum dritten Mal die Frage hört: «Hatte ich den Eintopf schon gesalzen? Ich glaub nicht. Da muss noch ordentlich was dran.»
Schlimmer aber als versalzenes Essen waren die bereits angesprochenen Gemeinschafts- und Bewegungsspiele. Warum glauben Klassenfahrtlehrer immer, es würde der Klassengemeinschaft helfen, wenn Schüler merkwürdige Vertrauensspiele spielen? Sie kennen doch sicherlich dieses Spiel mit drei Leuten, wo zwei den mittleren Klassenkameraden, der sich nach vorne und hinten kippen lassen muss, auffangen und wieder in die andere Richtung kippen sollen. Klar, da muss man seinen Mitspielern schon vertrauen, denn sonst fällt man auf die Nase. Alles pädagogisch also unglaublich wertvoll.
Aber wir sollten dieses Spiel machen, als wir dreizehn Jahre alt waren. Ich bitte Sie. Dreizehn. Gerade Jungs in diesem Alter haben einen unglaublichen Spaß daran, Andere diversen Peinlichkeiten auszusetzen. In diesem Fall bedeutete das, es witzig zu finden, wenn mal einer auf die Schnauze fliegt.
Einige Spiele machten ja wenigstens, was den Bewegungsfaktor angeht, noch Spaß oder trugen tatsächlich zum besseren gegenseitigen Kennenlernen bei. So wussten wir dank Steckenborn endlich, dass der dicke Bertie nach zwei Runden Völkerballspielen einen Asthmaanfall bekommt. Und auch er lernte sich durch diese Reise viel, viel besser kennen – denn von einer Asthmaerkrankung hatte er bis dahin nichts gewusst.
Andere Spiele waren aber an Sinnlosigkeit nicht zu überbieten und ließen auf zu viel Freizeit seitens der Lehrkraft schließen. Was ein Spiel bringen soll, bei dem die Klasse in zwei Gruppen geteilt auf dem Herbergsvorplatz steht und sich gegenseitig Grimassen schneiden und über den gesamten Hof hinweg anbrüllen muss, weiß ich leider nicht. Wahrscheinlich versuchte der Lehrer nur, uns irgendwie müde oder heiser zu machen, damit wir abends zur Schlafenszeit keinen Ärger mehr machen konnten.
Die Schlafenszeit ist nämlich das Spannendste an einer Klassenfahrt. Sicher, wir wussten, dass wir um 22 Uhr auf den Zimmern sein mussten und um 22 : 30 Uhr das Licht aus sein sollte. Aber wie langweilig wäre das denn? Viel schöner war es doch, um 23 : 14 Uhr mit elf Jungs in einem Sechserzimmer zu sitzen – bei aufmerksamem Lesen stellt man hier eine Personen-Bett-Differenz von fünf zuungunsten der Zimmerkapazität fest. Was wir machten? Wir spielten Krieg. Und zwar mit dem schlimmsten, was wir im Reisegepäck dabeihatten: Deospray.
Ein solcher Deokrieg wurde erst beendet, wenn alle mangels Sauerstoff ohnmächtig am Boden lagen – oder ein Lehrer hereinkam. Beide Varianten sind nicht sehr angenehm. Nur gut, dass es damals keiner gewagt hat, im Zimmer zu rauchen. Das Entzünden eines Feuerzeuges hätte bei dieser deogeschwängerten Luft wahrscheinlich zu einer mittelschweren Explosion
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