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Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Titel: Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malte Pieper
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geführt, das Zimmer wäre ausgebrannt und die Jugendherberge eingestürzt. Nach einer weiteren Explosion wäre dann nur noch ein großer Krater übrig geblieben. Das «Stadtbild» von Steckenborn hätte es vermutlich verschönert.
    Noch interessanter als ein zünftiger Deokrieg waren aber die Besuche im jeweiligen anderen Herbergshaus, denn Jungen und Mädchen waren selbstredend in unterschiedlichen Gebäuden untergebracht. Der Austausch zwischen beiden, besonders des Nachts, war strengstens untersagt, zusätzlich war ein Stacheldrahtzaun gezogen worden, Scheinwerfer erhellten das Gelände, und Dobermänner schlichen hinter einer weiteren Zaunreihe die Zähne fletschend hin und her. Von den Panzersperren und dem Wassergraben mit den Alligatoren möchte ich gar nicht sprechen.
    Natürlich gab es diese Sicherheitsmaßnahmen nicht wirklich, aber für uns Dreizehnjährige fühlte sich allein das verbale Verbot schon so an. Und genau das machte das Nichtbefolgen interessant. Fenster sind schließlich zum Rausklettern da, und unsere Lehrer waren sowieso viel zu müde, um die Einhaltung der Regeln noch zu überwachen. Ich behaupte sogar, dass wir niemals auf die Idee gekommen wären, uns zu den Mädchen zu schleichen, wenn es nicht verboten gewesen wäre.
    Und wenn wir nicht zu den Mädels gingen, dann kamen die eben zu uns; es gab schließlich wichtige Dinge zu besprechen. Auf der Tagesordnung standen Dinge wie: «Wer geht mit wem?» (das sagte man damals so) und: «Wer hat was über wen gesagt?» Die erste Frage war naturgemäß die spannendere, denn wer in wen «verliebt» war, war DER Gesprächsstoff überhaupt. Ich setze «verliebt» in Anführungszeichen, denn es reichte damals schon, wenn man beim Fußballspielen im Sportunterricht den Ball zu einem Mädchen gepasst hatte, um für alle anderen als offensichtlich «verliebt» zu gelten.
    In anderen Fällen wurde über das Verliebtsein sogar verhandelt. Da kam dann Ramira als Unterhändlerin durch das Fenster unseres Zimmers geklettert und teilte Orhan mit, dass Daniela total «in ihn» wäre und sie ihn fragen solle, ob er mit ihr gehen wolle. Orhan sagte dann aber nicht seinen Gefühlen gemäß «Ja» oder «Nein, geh weg, du Schlampe!» (ich bin mir sicher, er hätte das genau so gesagt), sondern es wurde erst noch gemeinschaftlich über die Antwort beraten. Beziehungsangelegenheiten wurden also am grünen Tisch entschieden und wenn die Mehrheit der Ansicht war, Orhan solle mit Daniela gehen, dann sagte dieser auch «Ja».
    An besagtem Abend war dies der Fall, und so kamen die beiden dann offiziell zusammen. Und zwar für genau drei Stunden. Um kurz nach zwei Uhr morgens – wir waren natürlich alle noch wach – machte Daniela wieder Schluss mit dem armen Orhan, weil sie es sich doch anders überlegt hatte. Die beiden hatten sich in der Zwischenzeit zwar nicht mehr gesehen, aber sei’s drum. Das Ende einer großen Liebe.
    Irgendwann kapierte unser Klassenlehrer Herr Löchel, dass es keinen Sinn hatte, uns abends früh ins Bett zu zwingen, und beschloss, unsere abendliche Aktivität auszunutzen. Nach dem Abendbrot verkündete er: «Heute machen wir eine Nachtwanderung.»
    Nachtwanderungen finde ich ungefähr so spannend wie ein Niederschlagsdiagramm von Bottrop aus dem Jahre 1987 im Erdkundeunterricht. Als Kind hat mein Opa mit mir Nachtwanderungen gemacht. Die waren cool. Aber da war ich fünf.
    Mit dreizehn glaubte ich allerdings nicht mehr daran, dass nachts im Wald Werwölfe herumschleichen, die kleine Kinder überfallen. Wir waren schließlich schon groß und hatten keine Angst! Das dachten wir zumindest. Herr Löchel hatte sich aber einen kleinen Trick ausgedacht, der das nächtliche Vergnügen dann doch noch unheimlich machte: Er ließ uns ein Stück des Weges alleine gehen. Eine Lehrkraft ging voraus, und dann sollte jeder Schüler einzeln hinterherkommen. So ganz allein auf weiter Flur wurde einem dann doch etwas mulmig zumute: Hinter jedem Busch konnte ein wildes Tier lauern, jeder Baum sah aus wie ein bis an die Zähne bewaffneter Kindermörder. Ich vermute, Herr Löchel wollte sich für alle unsere Störungen seines Unterrichts rächen. Denn der Weg führte zum Schluss auch noch über einen Friedhof. Da ging man dann mit aufgerissenen Augen zwischen den Gräbern entlang, und ich fragte mich schon, inwiefern das zu einer von der Schule veranstalteten Klassenfahrt passt und wie ich so Vertrauen und Gemeinschaftsgefühl aufbauen sollte?! Und vor allem,

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