Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
antwortete Tracey und klang ein wenig sehnsüchtig, als wünschte sie sich, ebenfalls ein richtiges Abenteuer zu erleben, anstatt auf einem Kreuzfahrtschiff mit denselben betrunkenen Gleichaltrigen festzusitzen, mit denen sie sich auch zu Hause hätte herumtreiben können.
»Mayaruinen?« Marias Eltern zufolge war Archäologie die große Leidenschaft ihrer Tochter – die sie so sehr missbilligten. Deswegen also das Täuschungsmanöver. »Fangt am besten ganz von vorne an.«
»Na ja«, sagte Linda, »da war dieser heiße Typ.«
»Prescott«, warf Tracey ein. »Er ist Doktorand in Cambridge.«
»Also ein Engländer?«, fragte Caitlyn.
»Nein. Amerikaner. Er studiert nur dort. Maria kannte ihn aus einem Forum für prä…« Linda hielt inne und runzelte nachdenklich die Stirn.
Vicky half ihr aus. »Präklassische Mayakultur in Mesoamerika«
Was auch immer das sein mochte. Die Mädchen hatten ihre Scheu überwunden und erzählten jetzt von ganz allein, also hörte Caitlyn nur zu, ohne Fragen zu stellen.
»Jedenfalls arbeitet Prescott mit diesem Professor Zigler zusammen«, sagte Linda. »Der Professor hat während seiner gesamten Laufbahn nach dem Ort von diesem Dresdenkodex-Ding gesucht. Maria hat angeboten, seine Daten mit modernerer Technologie zu überprüfen.«
»Und sie hat ihn gefunden!«, unterbrach sie Tracey.
Linda brachte sie mit einem Blick zum Schweigen und fuhr fort: »Also kam der Professor aus dem Ruhestand zurück und hat eine Ausgrabung von diesem verschollenen Tempel organisiert. Offenbar wurde bereits seit Jahrhunderten nach ihm gesucht, aber immer am falschen Ort.«
»Selbstverständlich musste das alles geheim bleiben. Nicht nur weil der Schatz Plünderer anziehen könnte, sondern auch, weil die Eingeborenen …«
»Die einheimische Bevölkerung«, verbesserte sie Vicky.
»Es gibt da wohl ein Abkommen. Die Maya machen daraus ein Politikum, es geht offenbar um ihr Land und ihr Erbe, oder so ähnlich.«
»Sie versuchen lediglich, die Ausbeutung ihrer Kultur und ihrer Geschichte zu beenden.«
»Ja, aber deswegen verrotten all die Tempel und Ruinen im Dschungel, obwohl Menschen wie Prescott und Maria sie ausgraben und jede Menge darüber lernen könnten …«
»Und jede Menge Gold finden«, ergänzte Vicky leicht missbilligend. »Denn die Regierung würde nie zulassen, dass die Maya den Schatz behalten. Sie würden das Gold konfiszieren und an den Höchstbietenden verkaufen.«
Caitlyn ging dazwischen. »Erzählt mir etwas mehr von diesem Prescott. Und Professor Zigler. Ist Maria jetzt bei den beiden?«
»Ja sicher«, sagte Linda. »Maria hat sich schließlich etwas dabei gedacht. Professor Zigler ist eine Berühmtheit – jedenfalls unter Archäologen. Wenn er auch seit ein paar Jahren im Ruhestand war und deswegen nicht mehr ganz so sehr in der Öffentlichkeit stand, konnte sie sich doch diese Gelegenheit, mit ihm zusammenzuarbeiten, nicht entgehen lassen.«
»Er hat sie in Guatemala abgeholt?«
»Nein. Ein so wichtiger Mann würde nicht einfach seine Arbeit stehen und liegen lassen, um eine ehrenamtlich am Projekt beteiligte Studentin abzuholen. Er hat Prescott geschickt.«
»Hat Prescott auch einen Nachnamen?«
»Prescott Wilson«, sagte Vicky. Sie stand vom Sofa auf und kramte in einer der Taschen, die in der Kabine herumlagen, dann reichte sie Caitlyn einen Ausdruck. »Maria hat während eines ihrer Skype-Telefonate einen Screenshot gemacht.«
Der Farbausdruck zeigte einen Mann Ende zwanzig. Blond, gut aussehend, wie ein junger Adliger. »Prescott hat Maria also abgeholt …«
»Im Hafen. Santo Tomás. Wir haben ihn alle gesehen.«
»Mit dem hat Maria wirklich einen Volltreffer gelandet. Verglichen mit den betrunkenen Jungs, die wir hier kennengelernt haben, zumindest«, sagte Tracey.
»Und wo ist die Ausgrabungsstelle, dieser Tempel?«
Die Freundinnen tauschten einen Blick. »Das wissen wir nicht.«
»Den Ort mussten sie geheim halten«, erklärte Linda. »Maria sagte, alle seien bislang davon ausgegangen, dass sich der Tempel am Grund eines Sees befindet.«
»Der Izabal-See«, ergänzte Vicky.
»Genau, der Izabal-See. Aber das war falsch. Tatsächlich liegt der Tempel etwa fünfzig Kilometer weiter weg, mitten im Dschungel und in der Nähe von einem ganz anderen See. Es wurde schon ewig nach ihm gesucht, und Maria hat ihn gefunden.«
»Wie ist ihr das gelungen?«, wollte Caitlyn wissen. Diese ganze Geschichte gefiel ihr nicht. Für eine simple Betrugsmasche war sie
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