Wenn der Wetterhahn kräht
hatte.«
Iduna stieß ein damenhaftes, bitteres
Lachen aus. »Wahrscheinlich tun mir die Arbeiter deswegen so leid. Ich weiß nur
allzu gut, wie es ist, sich jeden Tag Sahne im Kaffee leisten zu können und
Lammkoteletts zu essen, wenn man Appetit darauf hat, und dann urplötzlich mit
einem großen Haus am Hals dazustehen, ohne das nötige Kleingeld, um es zu
finanzieren. Glück im Unglück, daß das ›Bursting Bubble‹ abgebrannt ist und
nicht etwa das Schulgebäude. Zumindest werden die Leute jetzt nicht in
Versuchung geführt, ihr gesamtes Arbeitslosengeld für Schnaps auszugeben, den
sie sich nicht leisten können und der ihnen nur schadet. Ich habe damals bei
uns verdammt viele gesehen, die genau das getan haben, nachdem wir die
Kutschpeitschenfabrik schließen mußten. Die Menschen bekommen Depressionen,
wissen Sie.«
»Kann man ihnen kaum verdenken.«
»Mir brauchen Sie das nicht zu sagen,
Peter. Ich war vollkommen am Boden zerstört, als der Tornado damals mein Haus
verwüstet hat. Sämtliche Familienfotos, Papis Schnurrbarttasse — alles vom
Winde verweht. Ein scheußliches Gefühl, als wenn man am Rand einer Klippe steht
und der Boden einem langsam unter den Füßen wegbröckelt. Und jetzt fangen die
Trümmer der Seifenfabrik auch noch an zu schäumen.«
»Zu schäumen?«
Iduna nickte. »Genau. Die Seifenlauge
kommt wieder hoch. Von dem vielen Löschwasser, wissen Sie. Na ja, das ist zwar
besser als Flammen und Rauch, aber jetzt sind die ganzen Straßen voll Schaum,
und das Zeug läuft in die Gärten und Keller und ruiniert die Pflanzen. Und
natürlich rennen Hunde, Katzen und Kinder nach draußen, holen sich nasse Füße
und tragen das Zeug in die Häuser. Es ist nicht etwa schöner weißer Schaum — er
hat sich mit Asche und Dreck und weiß Gott was sonst noch vermischt. Eine
Riesenschweinerei, ich habe in den Frühnachrichten Bilder davon gesehen. Alle
sind mit den Nerven fix und fertig, was man ihnen kaum verdenken kann. Wenn die
Leute je herausfinden, wer den Brand verursacht hat, werden sie ihn bestimmt
teeren und federn und mit Schimpf und Schande aus der Stadt jagen.«
Peter war von dieser Vorstellung alles
andere als erbaut. »Und wenn es eine Frau gewesen ist?« erkundigte er sich
nicht sonderlich hoffnungsvoll.
Iduna schüttelte ihr silberblondes
Haupt. »Kann ich mir nicht vorstellen. Frauen sind dazu viel zu klug. Na so
was, Helen ist ja schon fertig und trägt ihre Sachen nach draußen. Unglaublich,
sie sieht heute noch jünger aus als damals in South Dakota. Und die niedlichen
kleinen rosa Turnschuhe! Helen hatte schon immer so zierliche Füße. Sind Sie
bereit, Mylady? Ihr Taxi wartet.«
»Einen Moment noch.«
Helens Gepäck bestand aus einem kleinen
Koffer, einigen Kleidungsstücken in einer Plastikhülle einer chemischen
Reinigung und einer großen Reisetasche aus Leinen, die bis obenhin mit Büchern
gefüllt war. Induna kicherte, als sie die Reisebibliothek sah.
»Meinst du nicht, daß du Eulen nach
Athen trägst, wenn du zu Cat McBogle Bücher mitnimmst?«
»Das mußt du gerade sagen«, konterte
Helen. »Stellst du die Tasche bitte neben Idunas Speisekammer in den Wagen,
Peter? Du weißt doch haargenau, daß Cat augenblicklich zu kochen angefangen hat,
als ich ihr mitgeteilt habe, daß wir kommen, Iduna. Cat und ich werden ständig
von ein und demselben immer wiederkehrenden Alptraum geplagt: daß es uns an
einen Ort verschlägt, wo kein einziges Buch aufzutreiben ist.«
»Gibt es in Sasquamahoc denn keine
Bibliothek?«
»Kommt ganz auf die Definition an. Cat
behauptet, sie sei ganze fünf Quadratmeter groß und nur an einem einzigen
Nachmittag in der Woche geöffnet, und das auch nur von drei bis sechs. Sie kann
zwar auch die College-Bibliothek benutzen, doch die einzigen Bücher, die es
dort gibt, sind entweder über Pilzbefall an Bäumen oder Waldgedichte von Joyce
Kilmer. Cat deckt sich mit Literatur ein, wann immer sie die Möglichkeit hat,
in ein Buchgeschäft zu kommen. Sie bestellt auch vieles per Post, aber es ist
halt nicht einfach, wenn man im Schnitt zwei Bücher pro Tag verschlingt. Ich
laufe nur noch schnell ins Haus und verabschiede mich von Jane Austen.«
»Bestell ihr viele Grüße von mir.«
Iduna machte es sich hinter dem Steuer ein wenig bequemer und überprüfte den
speziell für sie gefertigten Sicherheitsgurt. »Dann bis Freitag, Peter. Daniel
kommt Samstag gegen Mittag zurück, und ich brauche genügend Zeit, um ein
ordentliches Mittagessen für
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