Wenn der Wetterhahn kräht

den alten Talgkesselmann zu ermorden und die
Hälfte der Bewohner von Lumpkinton um ihren Job zu bringen.
    Diejenigen, die nicht zu schwer
verletzt oder zu erschöpft von den Löscharbeiten waren, hatten sich inzwischen
wahrscheinlich schon auf den Weg in die Kreisstadt gemacht, um ihren Antrag auf
Arbeitslosenunterstützung zu stellen, vermutete Helen. Die Leute, deren
Fahrzeuge zerstört worden waren, hatten vielleicht diejenigen, die noch über
ein Transportmittel verfügten, gebeten, sie mitzunehmen. Vielleicht hatte ihnen
die Stadt aber auch einen der Schulbusse zur Verfügung gestellt. Das wäre wohl
die vernünftigste Lösung, aber ob sie überhaupt jemandem eingefallen war?
Vielleicht waren die Schulbusse auch gar nicht mehr einsatzfähig? Schließlich hatten
sie hinter der Schule gestanden, erinnerte sich Helen, gefährlich nahe am
Brandherd.
    Wenigstens würden die Eltern, die sonst
in der Fabrik arbeiteten, diesmal während der langen Sommerferien eine Menge
Zeit mit ihren Kindern verbringen. Die Kleinen würden es sicher genießen, aber
wie würden sie sich wohl fühlen, wenn Weihnachten vor der Tür stand, die
finanziellen Mittel erschöpft waren und kein Extrageld für Geschenke in Sicht
war? Doch vielleicht war es nicht ganz so schlimm, wenn alle im selben Boot
saßen, mutmaßte sie. Sicher war es noch schmerzhafter, wenn man selbst nichts
hatte, während alle anderen viel hatten.
    Doch Weihnachten war weit, und in der
Zwischenzeit konnte noch viel passieren. Der Himmel war blau, die Straße breit,
und in diesem Jahr blühten Gänseblümchen und Löwenzahn am Straßenrand besonders
prächtig. Helen lehnte sich entspannt zurück und ließ die Meilen vorüberrollen.
In etwa einer Stunde würde sie Iduna am Steuer ablösen, und Iduna konnte sie
wieder ablösen, wenn sie oben in Maine waren. Oder war es unten in Maine? Die
Einheimischen konnten sich darauf nie so ganz einigen. Egal, es war jedenfalls
irgendwo in Maine.
    Sie wären sicher noch früher
angekommen, wenn Iduna nicht den riesigen Picknickkorb mitgenommen hätte. Die
Rastplätze in Massachusetts waren zwar nicht sonderlich einladend, doch man
konnte zumindest anhalten, die Thermoskanne herausholen und ein paar
Haferplätzchen knabbern. Als die beiden Frauen erst einmal den südöstlichen
Zipfel von New Hampshire erreicht hatten und über die Brücke nach Kittery
fuhren, sah die Sache schon anders aus. Sie besuchten das beeindruckende
Visitor Center, gingen hinaus in das dazugehörige Kiefernwäldchen und trugen
ihren Proviant zu einem der einladenden Picknicktische.
    Dort verzehrten sie zuerst genüßlich
die gelierte Rinderbrühe in den hübschen kleinen Plastikförmchen und machten
sich danach über die Hühnchen-Sandwiches mit Brunnenkresse und die dünnen
Scheiben Roastbeef auf Roggenbrot mit Dillgurken her, die Iduna aus ihrem Korb
hervorzauberte.
    »Du kannst auch Limonade haben, Helen.
Ich habe zwei Thermoskannen dabei. Ich dachte mir, wenn wir erst einmal so weit
gekommen wären, hätten wir wahrscheinlich mehr als genug Kaffee getrunken.«
    »Ich glaube, ich bleibe lieber bei
Kaffee. Ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen nach all der Aufregung mit
dem Feuer.«
    Nach den Sandwiches gab es als
Nachtisch süße Weintrauben und einen köstlichen Brie. Der Korb war immer noch
nicht leer.
    »Ich habe noch Marmeladentörtchen, die
ich Cat mitbringen wollte, und Haferplätzchen sind auch noch da. Es sei denn,
du möchtest sie dir für später aufbewahren.«
    »Lieber später«, sagte Helen. »Ich bin
vollkommen satt. Es war wirklich ein wunderbares Mittagessen, Iduna.«
    »Ich habe lieber nur etwas Leichtes
mitgenommen, schließlich sind wir Frauen unter uns. Wie weit ist es eigentlich
noch, Helen? Ich könnte allmählich ein kleines Nickerchen vertragen.«
    »Cat meinte, vor hier aus seien es noch
ungefähr zwei Stunden. Ich bin übrigens kein bißchen müde. Warum läßt du mich
nicht die restliche Strecke ans Steuer? Ich fahre in einem durch, dann sind wir
pünktlich zum Tee da. Du erinnerst dich sicher noch, daß Cat immer großen Wert
auf ihren Nachmittagstee legt.«
    »Wer tut das nicht? Ach herrje, sieht
ganz so aus, als bekämen wir Gesellschaft. Komm, wir verdrücken uns lieber.«
    Fünf junge Männer entstiegen einem
großen grünen Lieferwagen mit Massachusetts-Kennzeichen, den sie direkt neben
dem Wagen der Stotts geparkt hatten. Den Geräten nach zu urteilen, die oben auf
dem Dach befestigt waren, fuhren sie zum Angeln.