Wenn der Wind dich ruft
auf!«, rief Portia und schlug seine Hand weg. »Hör auf, so grässlich zu sein! Ich weiß genau, was du zu tun versuchst, aber es funktioniert nicht.«
Er wich zurück, hielt beide Hände übertrieben erschreckt in die Höhe. »Ist ja schon gut. Du warst noch nie leicht einzuschüchtern, nicht wahr, Kleines?«
Da irrte er. Sie war außer sich vor Angst. Es machte ihr schreckliche Angst, dass ihr Puls unter seinen Fingerspitzen gerast war. Die Gewalt, die seine Berührung immer noch über sie hatte, machte ihr Angst. Sie fürchtete, dass sie am Ende doch nicht besser als diese Frauen war, die bereitwillig seine Gelüste befriedigten, solange er ihnen gab, wonach sie verlangten.
Aber er war nicht der Einzige, der in den letzten Jahren das Bluffen gelernt hatte. Sie schenkte ihm ihr schönstes Lächeln, ihre Grübchen rücksichtslos einsetzend. »Ich fürchte, ich muss deine legendäre Eitelkeit verletzen, aber ich habe nicht vor, entsetzt aus dem Zimmer zu fliehen, nur weil du >Buh!< rufst.«
Sie entledigte sich seines Umhanges und warf ihn aufs Bett, nahm ihren Hut ab und legte ihn vorsichtig auf den Tisch, dann begann sie ihre Handschuhe auszuziehen. Als sie aus ihrer Pelisse schlüpfte, schoss eine von Julians Augenbrauen in die Höhe, als fragte er sich, welches Kleidungsstück sie wohl als Nächstes ablegen wollte.
Ohne ihr Retikül loszulassen, setzte sie sich vorsichtig auf die vorderste Kante des Polstersessels und nahm einen weiteren Schluck von ihrem Portwein. »Dein Knurren und Brummen mag seine Wirkung bei den Frauen nicht verfehlen, mit denen du gewöhnlich Umgang pflegst, aber offen gesagt, ich finde beides ein bisschen langweilig.«
Julians dunkle Braue glitt noch höher. »Entschuldigen Sie, Miss Cabot. Ich habe Sie ganz offensichtlich mit dem bezaubernden Kind verwechselt, das mit atemloser Begeisterung an jeder Silbe hing, die ich äußerte.«
»Ich fürchte, selbst die bezauberndsten Kinder müssen irgendwann erwachsen werden. Ich hoffe, es ist keine allzu große Enttäuschung für dich, wenn ich dir verrate, dass ich nicht mehr an Meerjungfrauen, Kobolde oder Werwölfe glaube.«
»Aber du glaubst immer noch an mich.«
Portia gelang es nur mit Mühe, sich ihr Erstaunen nicht anmerken zu lassen. Hatte er zusammen mit anderen dunklen Künsten auch gelernt, Gedanken zu lesen?
»Du glaubst immer noch, dass es Vampire gibt«, erklärte er zu ihrer Erleichterung.
»Da bleibt mir kaum eine andere Wahl, oder? Nicht wenn dein Bruder die letzten fünf Jahre damit verbracht hat, die übelsten von ihnen aus London zu vertreiben.«
»Nun, das würde jedenfalls erklären, warum sie massenhaft die Straßen von Madrid und Florenz bevölkern.« Mit gerunzelter Stirn schenkte sich Julian erneut von dem Portwein ein und lehnte sich mit der Hüfte gegen die Tischecke ihr gegenüber.
»Adrian hat offensichtlich seine Pflichten als dein Vormund vernachlässigt. Ich hatte fest damit gerechnet, dass er dich inzwischen an irgendeinen reichen Viscount oder Earl verheiratet hätte, der dir ein halbes Dutzend Kinder gibt, die dich ans Kinderzimmer fesseln, wo du hingehörst.«
»Ich bin schon seit mehreren Jahren dem Kinderzimmer entwachsen und habe gewiss nicht vor, dahin zurückzukehren. Wenigstens für eine ganze Weile nicht. Also sag mir«, bat sie mit einem geübten Augenaufschlag, »während du die Welt bereist und gelernt hast, schwache Frauen mit deinen Verführungskräften dir zu Willen zu machen, da bist du nicht zufällig über etwas anderes Interessantes gestolpert? Wie, sagen wir, zum Beispiel deine unsterbliche Seele?«
Er stellte sein Glas auf den Tisch, dann klopfte er sich die Taschen seiner Weste ab, als wäre das Eine, das ihn wieder zu einem Menschen machen könnte, nicht wichtiger als ein verlorener Reithandschuh oder eine verlegte Krawatte. »Verflucht, das Ding hat sich als überaus schlüpfrig erwiesen. Mir ist kein einziger Vampir begegnet, der zu mir gekommen wäre und mir angeboten hätte, ihm die Kehle aufzureißen und mir meine gestohlene Seele zurückzuholen.«
»Also hast du den Vampir nicht finden können, der Duvalier gezeugt und dann deine Seele bekommen hat, nachdem Adrian ihn vernichtet hatte?«
»Ich fürchte, nein. Außer wenn sie ihren Hunger stillen, halten Vampire meistens den Mund geschlossen, sogar wenn sie unter sich sind.«
Portia runzelte die Stirn. Etwas in seinem Tonfall verriet ihr, dass er nicht die ganze Wahrheit sagte. »Also hast du zwar deine Seele nicht
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