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Wenn der Wind dich ruft

Wenn der Wind dich ruft

Titel: Wenn der Wind dich ruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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Regenbogens glitzernde Scherben zerbarst.

14
    Portia öffnete ihre Augen und blickte geradewegs einem himmlischen Engelschor in die Gesichter, die sie selig anlächelten. Sie saßen auf daunenweichen Wolken in einem strahlend blauen Himmel und zupften mit ihren molligen Fingern an den Saiten goldener Harfen.
    »Ach Gott«, hauchte sie. »Ich bin tot.«
    Sie schlug sich eine Hand vor den Mund. Vielleicht war jetzt nicht der günstigste Zeitpunkt für Blasphemie.
    Die Engel starrten weiter lächelnd auf sie herab, Grübchen in ihren rosigen Pausbäckchen. Ihr Geist war vermutlich auf ihrer eigenen Wolke in dieser wonnigen kleinen Ecke des Paradieses, aber ihr Körper lag vermutlich in einem Haufen zerschmetterter und unnatürlich verdrehter Glieder auf einem von Unkraut überwucherten Hof in Chillingworth Manor. Aber wenigstens blieb Julian die grimmige Endlichkeit des Todes erspart, dachte sie mit einem wehmütigen kleinen Seufzer. Nachdem er mit ihr in ihr Verhängnis gesprungen war, hatte er sich wahrscheinlich aufgerappelt, den Staub aus seinen Kleidern geklopft und war nach London zurückgekehrt zu einer frischen Flasche Portwein und einer neuen Runde Brag.
    Unerklärlich verärgert über die gute Laune der Engel riss sie ihren Blick von ihnen los.
    »Ach du lieber Gott!« , sagte sie wieder, diesmal aber mit völlig anderer Betonung.
    Der Anblick, der sie nun begrüßte, war wesentlich heidnischer. Ein überaus seltsames Wesen — halb Mensch, halb Schwan — schien seine romantischen Aufmerksamkeiten einer vollbusigen und beinahe nackten jungen Frau aufzudrängen. Trotz der mädchenhaft schüchternen Art, mit der sie die zerfetzten Reste ihrer Kleidung an ihre Brust drückte, vermittelten ihre geteilten Lippen und ihr verzückter Gesichtsausdruck bei dem Betrachter doch den Eindruck, als gefielen ihr im Grunde genommen die stürmischen Zudringlichkeiten.
    »0 je«, murmelte Portia und musste den Kopf zur Seite drehen, um die volle Wirkung ihrer Vereinigung zu erfassen. Als Hitze in ihre Wangen stieg und in andere weniger achtbare Regionen ihres Körpers, bereute sie fast, dass sie es getan hatte.
    Die Hitze schien die letzten Schwaden des Nebels zu verbrennen, die durch ihr Hirn waberten. Sie begriff in diesem Moment, dass sie nicht auf einer Wolke über dem Himmel trieb, sondern auf einer Federmatratze lag und auf ein verblasstes Deckengemälde schaute, das die gewölbte Decke über ihr zierte und dessen Erschaffer vermutlich schon lange tot war. Die unschuldigen Engel befanden sich in direkter Nachbarschaft zu verschiedenen wesentlich weniger unschuldigen Gestalten der griechischen Mythologie, den Gottvater Zeus eingeschlossen, der sich in einen Schwan verwandelt hatte, um die ahnungslose — aber nicht ganz unwillige — Leda zu verführen.
    Portia setzte sich in dem weichen Himmelbett auf und bemerkte bestürzt, dass sie nur ihr dünnes Seidenunterhemd trug. Der tiefe Ausschnitt des Kleidungsstückes enthüllte ein beunruhigendes Ausmaß ihres sahnigen Busens und ihrer Schultern. Ihre Hand flog zu ihrem Hals, und sie bemerkte, dass auch der goldene Halsreif verschwunden war. Es sah ganz so aus, als sei sie nicht nur von ihrer Kleidung, sondern auch von ihren Ketten befreit worden.
    Jemand hatte sogar die Kämme aus ihrem Haar gezogen und die dicke Puderschicht in ihrem Gesicht abgewischt. Seltsamerweise war es wesentlich erregender, sich vorzustellen, wie Julian ihr behutsam den Puder von den Wangen wusch, als wie er ihr das Fischgrätkorsett unter ihrem Kleid aufband.
    Kerzen standen unweit des Fußendes des Bettes, doch ihr flackerndes Licht tat wenig, um das Dämmerlicht aus dem Zimmer zu bannen. Obwohl die Kerzen aus duftendem Bienenwachs waren statt aus einfachem Talg, waren die meisten nicht mehr als Stummel. Staubige Spinnweben, die sich wie Spitzenfetzen in einem unsichtbaren Luftzug bewegten, zierten das angelaufene Messing des Leuchters. Der Mond, der wie eine frostige Perle am Himmel stand, spähte durch das Sprossenfenster unter dem Dach auf der anderen Seite des Raumes.
    Sie zuckte zusammen, als die Tür aufschwang und Julian ins Schlafzimmer trat, eine Wolldecke auf dem Arm.
    »Ich nehme an, das beantwortet eine meiner Fragen«, erklärte sie und fasste den Ausschnitt ihres Hemdes fester. »Ich bin ganz bestimmt nicht im Himmel, sonst wärest du nämlich nicht hier.«
    Er machte eine spöttische Verbeugung. »Der Prinz der Dunkelheit — stets zu Diensten, Mylady.«
    Sein windzerzaustes Haar

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