Wenn die Liebe dich findet
hatte ihn verlassen, ihn weggeschickt und nicht ein einziges Mal in dieser ganzen Zeit besucht. Jetzt brauchte er nichts mehr von ihr, und in einem Ausbruch von wütendem Schmerz hob er den Arm, um die Porzellanfigur an der Wand zu zerschmettern, so wie sie seine Hoffnungen zerschmettert hatte, dass sie eines Tages wieder zusammen sein könnten. Stattdessen war sie gestorben und hatte somit dafür gesorgt, dass dieser Tag niemals kommen würde.
Aber Donald hielt ihn ab. »Tu das nicht, Junge! Sie wollte, dass du es behältst. Sie sagte, eines Tages würdest du alles verstehen und begreifen, wie sehr sie dich geliebt hat.«
Nichts als Lügen! Sie war fort. Er würde sie nie wiedersehen, nie wieder ihre Umarmung spüren. Die Tränen versiegten nicht an jenem Tag und auch nicht am nächsten und am übernächsten, als man die Leiche seiner Mutter nach Lancashire brachte, um sie an dem Ort zu beerdigen, an dem sie aufgewachsen war. Sein Schmerz war überwältigend, als er sah, wie der Sarg in die Erde herabgelassen wurde. Es tat so weh, dass er auf die Knie sank. Seine Tante kniete sich neben ihn und hielt seine Hand.
In jener Nacht stahl er sich aus dem Haus und rannte auf den kleinen Friedhof. Das Porzellanpferd hatte er bei sich. Er hätte es vorher am liebsten zusammen mit seiner Mutter beerdigt, aber er dachte, dass sein Onkel ihn bestimmt davon abgehalten hätte. Jetzt verbuddelte er es direkt neben ihrem Grab, aber irgendwie war der Schmerz jetzt noch schlimmer, er konnte vor lauter Tränen kaum aus den Augen schauen. Er wollte das dumme Pferd nicht behalten! Er wollte gar nichts von ihr, nichts, das ihn daran erinnerte, dass seine eigene Mutter ihn von sich fortgestoßen hatte.
In dieser Nacht schwor er sich, nie wieder zu weinen … oder jemanden zu lieben. Es tat einfach zu weh.
Kapitel 1
L ady Amanda Locke seufzte, während sie ihr Gesicht in dem ovalen Spiegel betrachtete. Sie saß an ihrem Schminktisch in dem komfortablen Zimmer, das man im Haus ihres Cousins Rupert für sie hergerichtet hatte, und bildete sich ein, sie hätte eine Falte in ihrem Augenwinkel entdeckt. War das möglich? Sie beugte sich weiter vor. Nein, es lag nur an ihrer Einbildungskraft und an der Beleuchtung, aber lange würde es nicht mehr dauern. Sie war schließlich schon zwanzig geworden! Die feine Gesellschaft würde sie bald als alte Jungfer bezeichnen – wenn sie es nicht schon längst tat.
Sie seufzte wieder. Alice, ihre Zofe, tat so, als würde sie es nicht bemerken, und befestigte die letzte ihrer blond gelockten Haarsträhnen an ihrer kunstvollen Hochsteckfrisur. Das hätte Amanda nicht abgehalten, wenn sie denn das Bedürfnis gehabt hätte, über ihre Melancholie zu sprechen, aber heute Abend war ihr nicht danach. Alice hatte das alles schon gehört, und sogar ziemlich oft. Amandas ganze Familie hatte es schon gehört, und sie hatte eine große Familie. Ja, sie selbst war es leid, über ihr Elend zu klagen, aber manchmal konnte sie einfach nicht anders.
Ihre erste Saison in der Londoner Gesellschaft war ein Fiasko gewesen, obwohl es eigentlich ein durchschlagender Erfolg hätte sein sollen. Nicht weniger hatte sie erwartet. Auch ihre Familie hatte nicht weniger erwartet. Sie war immerhin eine Schönheit, sehr attraktiv mit ihrem blonden Haar und den türkisblauen Augen, und sie besaß den aristokratischen Knochenbau ihrer Familie. Außerdem war sie die Tochter von Preston Locke, dem zehnten Herzog von Norford. Das allein hätte schon zu einer Flut von Heiratsanträgen führen müssen. Und niemand hatte daran gezweifelt, dass sie in der Saison vor zwei Jahren all die anderen Debütantinnen ausstechen würde, auch nicht sie selbst. Aber damals hatte auch niemand damit gerechnet, dass die unsägliche Ophelia Reid im selben Jahr ebenfalls ihr gesellschaftliches Debüt beging – und niemand, nicht einmal Amanda, konnte es mit ihrer betörenden Schönheit aufnehmen.
Es war fast schon komisch, dachte Amanda, wie eifersüchtig sie damals auf Ophelia gewesen war. So eifersüchtig, dass sie beinahe ihre ganze erste Saison damit zugebracht hätte, vor sich hinzuschmollen, und deshalb all die jungen Männer ignorierte, die versuchten, ihre Bekanntschaft zu machen. In diesem Punkt war das ganze Desaster ihre eigene Schuld. Aber ihre Gefühle kochten schließlich vollends über, als sie feststellen musste, dass auch ihr eigener Bruder, Raphael, von der Eiskönigin in den Bann gezogen wurde.
Und das, obwohl Ophelia damals nicht
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