Wenn die Liebe erwacht
Braut gesehen hatte. Sie war nicht größer als ein Kind und reichte ihm nur bis an die Brust. Hatte dieses kleine Mädchen ihm soviel Ärger bereitet? Und was ihn krankmachte, war, daß sie wie eine Aussätzige von Kopf bis Fuß vermummt war. Ihr Vasall behauptete, sie wolle einen Ausschlag verbergen. Konnte er das glauben und hoffen, daß es sich um etwas handelte, was vorüberging, wie Sir Guibert angedeutet hatte?
Um die ganze Lage noch schlimmer zu machen, hatte die Stiefmutter des Mädchens ihn zur Seite genommen und ihm gestanden, daß sie Leonie hatte zwingen müssen, sich dem Befehl des Königs zu beugen. Höchstwahrscheinlich hatten sie ihr einige Mahlzeiten versagt. Das war für ihn nicht von Interesse. Wohl aber ihr Widerstreben. Er hatte sich mit Schuldgefühlen herumgeschlagen, weil er die Erwartungen seiner Braut enttäuschen würde, und jetzt schien es, als wolle sie ihn gar nicht haben! Ihn, der sich unter allen Schönheiten am Hof eine Frau hätte aussuchen können, und jetzt saß er mit einer unwilligen Braut da!
Er hätte sie alle davonjagen wollen. Er hatte einen perfekten Vorwand, denn er war entrüstet gewesen, als der Ehevertrag vorgelesen worden war. Wer hatte je von einer Mitgift gehört, die nach der Eheschließung Eigentum der Frau blieb? Aber Sir William war unerbittlich gewesen. Den Wünschen seiner verstorbenen Frau mußte Rechnung getragen werden, und sie hatte die Ländereien dem Mädchen hinterlassen. Er hatte diesen absurden Vertrag unterschrieben, der für ihn so verpflichtend wie die Eheschließung selbst war, und jetzt mußte man sich einmal ansehen, was es ihm eingebracht hatte – ein Mädchen, das nicht größer als ein Kind war und ihn heiratete, weil es dazu gezwungen worden war! Beim heiligen Blute Christi, er fing wahrhaft an, sich zu fragen, ob ein Fluch auf ihm lastete.
Leonie spürte den Ring, der nicht gerade sanft auf ihre Finger in dem weißen Handschuh gesteckt wurde. Als nächstes forderte der Geistliche ihren Gatten auf, ihr den Friedenskuß zu geben, mit dem das Zeremoniell endete. Rolfe versuchte nicht, ihren Schleier hochzuheben, sondern streifte mit seinen Lippen nur ihre Stirn. Es folgte eine kurze Messe, und dann wurde sie von ihrem Mann aus der Kapelle geführt.
Leonie hätte am liebsten den Saal verlassen und sich seiner Nähe entzogen, aber der Hochzeitsschmaus begann augenblicklich, und sie war gezwungen, neben ihm am Tisch des Burgherrn zu sitzen. Ihr Vater war da und ertränkte sich schweigend im Alkohol. Ihr Mann tat es ihm nach, und sie wünschte, sie hätte seinem Beispiel folgen können. Es herrschte eine mehr als gedrückte Stimmung. Judith war die einzige, die ihre Freude an dem Geschehen zu haben schien. Sie sorgte dafür, daß am herrschaftlichen Tisch kein vollkommenes Schweigen herrschte, unterhielt sich mit zwei Rittern des Schwarzen Wolfes und flirtete heimlich mit ihnen.
Leonies Gemahl sagte kein einziges Wort zu ihr. Fragen seiner Männer beantwortete er nur mit einem Knurren. Eine Schale war vor die Neuvermählten hingestellt worden, damit sie gemeinsam daraus aßen, aber keiner von beiden rührte das Essen an. Leonie aß nichts, weil sie ihren Schleier nicht hochheben wollte, und Rolfe aß nichts, weil er den Wein vorzog.
Es hielten sich noch andere Ritter im Saal auf, manche mit ihren Damen, und auch einige Kinder liefen herum. Doch keiner der Anwesenden benahm sich so, wie es bei einem solchen Anlaß gewöhnlich der Fall war. Leonie wußte, daß ihre Gegenwart der Stimmung aller einen Dämpfer aufsetzte, und sie konnte den Leuten nicht vorwerfen, daß sie sich in ihrer Gesellschaft unwohl fühlten. Sie mußten sich wundern, daß sie verhüllt und schweigsam dasaß.
Einmal versuchte sie, sich zurückzuziehen, doch die schwere Hand ihres Mannes, die sich auf ihren Arm legte, hielt sie zurück. Sie versuchte es kein zweites Mal. Es wurde getanzt, aber sie nahm es nur am Rande zur Kenntnis. Sie wagte es nicht, Rolfe direkt ins Gesicht zu sehen, aber sie beobachtete seine breiten Hände, die den Weinkelch umklammerten.
Nie in ihrem jungen Leben hätte Leonie geglaubt, sie würde ihr eigenes Hochzeitsfest nicht genießen, aber genau das war der Fall, als sie jetzt starr dasaß, sich bemühte, nicht zu weinen, und hoffte, niemand würde sie ansprechen.
Sie sah keine der festlichen Speisen, die Rolfes Dienstboten und ihre eigenen Köche aus Pershwick zubereitet hatten. Es gab Suppe mit Speck und zwei gebratene Schweine mit Trüffeln,
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