Wenn die Liebe erwacht
bekommt. Er bekommt immer alles, was er will, und er wollte, daß der Ärger mit Pershwick endet, deshalb hat er um Sie angehalten. Als sein Antrag zurückgewiesen wurde, hat er den König aufgesucht. Jetzt hat er, was er will.«
»Ja, allerdings.« Leonies Stimme war gedämpft, da alle ihre Befürchtungen bestätigt worden waren. »Sagen Sie mir nur eins«, fragte sie hastig. »Wissen Sie, welche Pläne er mit mir hat?«
»Er hat gesagt, daß er Sie nach der Hochzeit fortschickt.«
»Fort? Wohin?«
»Das weiß ich nicht, aber …«
Sie wurden von einem Klopfen an der Tür unterbrochen, und Judith trat ein. Sogar sie war schockiert, als sie sah, was Richer angerichtet hatte. Sie zuckte zusammen und dachte wieder daran, wie William sie geschlagen hatte.
Die große Schönheit des Mädchens war ihrem geschwollenen Gesicht nicht anzusehen. Das silberblonde Haar fiel wellig auf ihre Schultern. Die wohlgeformte kleine Gestalt war mit einem langärmeligen dunkelgrauen Spitzenhemd und einem hellgrauen Überwurf bekleidet, der mit Silberfäden bestickt war. Der Überwurf hatte weite Ärmel bis zu den Ellbogen und war von den Seiten geschlitzt, um mehr von dem Spitzenhemd zu zeigen. Ein geflochtener Silbergürtel betonte die schmale Taille, doch der reizvolle Körper lenkte nicht von ihrem entstellten Gesicht ab.
»Hat dein Erscheinen einen Grund, Judith?« fragte Leonie kühl, als Judith ihr Gesicht unverwandt anstarrte.
»So kannst du dich nicht zeigen«, sagte Judith.
»Und warum nicht? Bin ich für eine Hochzeit unangemessen gekleidet?«
»Es ist Zeit.« Bei diesen Worten verließ Amelia das Zimmer. Judith bemerkte angewidert: »Es überrascht mich, daß du mit dieser Frau sprichst, Leonie. Weißt du denn nicht, daß sie seine Mätresse ist?«
»Wenn ich es nicht wüßte, müßte ich dir danken, daß du es mir gesagt hast.«
Judith zog es vor, nicht auf diesen Sarkasmus zu reagieren. »Komm. Dein Vater wartet schon, um dich an den Altar zu führen. Und dein Gemahl steht bereits vor dem Altar. Er weiß, daß du gezwungen werden mußtest, und wenn du so zu erscheinen wünschst, beschämst du nur dich selbst. Ich fand diese Geschichte mit dem Ausschlag recht geschickt, um deine Tante zu beruhigen.«
»Ich habe sie für Sir Guibert erfunden, damit er nicht einen der Männer meines Vaters tötet. Und aus diesem Grund werde ich nicht so erscheinen.«
Bewußt langsam zog Leonie ihren Schleier wieder vor ihr Gesicht und glättete seine Falten. Durch das dichte Material war ihre Sicht eingeschränkt, doch Leonie konnte ohnehin nur mit einem Auge sehen. Sie mußte ihren Kopf nach hinten beugen, wenn sie überhaupt etwas sehen wollte, und das erweckte den trügerischen Eindruck, daß sie andere verächtlich von oben herab ansah. Unter den gegebenen Umständen paßte ihr das sehr gut.
»Ich bin bereit«, sagte sie tapfer, und Judith schreckte ein wenig vor ihrer Courage zurück.
Am Eingang der kleinen Kapelle nahm Sir William die Hand seiner Tochter und legte sie auf seinen Arm, obwohl sie sich weigerte, ihn auch nur anzusehen. Im Innern der Kapelle erblickte sie die mit Gästen gefüllten Bänke und vor dem Altar verschwommen die große Gestalt eines Mannes. Das Grauen überwältigte sie, als ihr Vater mit ihr durch den Mittelgang schritt.
»Leonie, wenn du mich je brauchen solltest …«
»Du hast mir gezeigt, wie sehr ich mich auf dich verlassen kann, Vater«, zischte sie. »Du gibst mich diesem Schurken zur Frau. Verschone mich mit den Bezeugungen deiner Liebe und Sorge, ich bitte dich.«
»Leonie!«
Dieser Ausruf klang so schmerzlich, daß es Leonie einen Stich gab. Aber wie konnte er es wagen, ihr jetzt seine Liebe zu zeigen? Sie an den Vater zu erinnern, der er einst gewesen war? Er hatte den Alkohol, der ihn die glücklichen Zeiten vergessen ließ, die sie gemeinsam verbracht hatten, aber was hatte sie? Für sie gab es kein Vergessen.
Genau das wollte sie sagen, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Im nächsten Moment war es zu spät, und sie stand allein neben dem Schwarzen Wolf. Später sollte sie sich fragen, wie es ihr gelungen war, die Worte auszusprechen, die sie an ihn banden. War es nur die Furcht, die sie von dem Augenblick an verspürte, als sie die tiefe, knurrende Stimme neben sich hörte, die sie ihre Stimme wiederfinden ließ?
Auch Rolfe schenkte den Worten des Geistlichen keine allzu große Aufmerksamkeit. Er kämpfte gegen die bittere Galle an, die in ihm aufgestiegen war, als er seine
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