Wenn die Liebe erwacht
ein Beweis dafür, daß sie zumindest vorläufig in der Burg Crewel nicht die Dame des Hauses war.
In der Kammer neben der Kapelle hörte Leonie eine Stimme, die sich im Zorn erhob. Sie kannte sie seit dem Tag in den Wäldern. Der Schwarze Wolf! Wilda hörte seine Stimme jedoch zum ersten Mal, und obwohl sie die Worte nicht verstehen konnte, riß das arme Mädchen vor Furcht die Augen auf. Leonie konnte sie nicht beruhigen, ohne zu lügen, und daher blieb sie stumm und goß noch etwas mehr von dem Beruhigungstrunk in ihren Wein.
Sie konnte die Gründe für den Zorn des Schwarzen Wolfs beim besten Willen nicht erraten. Schließlich war er derjenige gewesen, der auf dieser Heirat bestanden hatte. Sie glaubte nicht, daß es etwas mit dem Ehevertrag zu tun hatte. Ihre Ländereien sollten in ihrem Besitz verbleiben, damit sie darüber verfügen konnte, wie es ihr beliebte. Das war der Wunsch ihrer Mutter gewesen, doch sie glaubte nicht, daß ihr Vater, der sich so wenig um sie kümmerte, darauf beharren würde, diesen Punkt in den Ehevertrag aufzunehmen. Und selbst, wenn er es tat – was würde das für den Schwarzen Wolf bedeuten? Er hatte längst bewiesen, daß er jeden anderen enteignete, wenn er sein Land haben wollte.
Selbst in dem stickigen kleinen Raum ließ dieser Gedanke sie frösteln. Mit der Heirat würde sie in seinen Besitz übergehen. Er konnte mit ihr tun und lassen, was er wollte. Er konnte sie für den Rest ihres Lebens gefangenhalten und sogar töten.
Einem Impuls folgend, nahm Leonie eine kleine Klinge, die sie in ihrem Medizinkorb aufbewahrte, um Verbände zu schneiden, und steckte sie in ihren Ledergürtel. Der Schleier würde sie verbergen. Sie wollte verflucht sein, wenn sie sich jemals wieder einem Mann auf Gedeih und Verderb auslieferte, wie es ihr mit Richer ergangen war.
»Lady Leonie, die kommen gerade ganz frisch aus der Küche.«
Amelia hatte das Zimmer betreten, ohne anzuklopfen. Sie brachte ein Tablett mit kleinen Kuchen. Als ihr Blick auf Leonies unverschleiertes Gesicht fiel, erstarrte sie und riß ihre grünen Augen schockiert auf.
»Treten Sie immer unaufgefordert ein?« fragte Leonie zornig. Sie stellte überrascht fest, daß sie noch die Kraft besaß, wütend zu werden.
»Ich … es tut mir leid, Mylady, ich dachte nur, Sie wollten vielleicht …« Der Zustand ihrer Rivalin überraschte sie so sehr, daß sie plötzlich die Dreistigkeit besaß, zu fragen: »Sie … Sie wollten Rolfe gar nicht heiraten?«
Leonie fiel die Selbstverständlichkeit auf, mit der Amelia seinen Vornamen aussprach.
»Ich wollte ihn nicht zum Gemahl haben, nein, aber wie Sie sehen, hat man mir keine Wahl gelassen.« Warum sollte sie ihr nicht die Wahrheit sagen.
»Dann kann ich Ihnen vielleicht eine Last von der Seele nehmen, Mylady«, erbot sich Amelia. »Wenn Sie etwas Zeit für mich hätten und wir uns allein unterhalten könnten.«
Leonie nickte Wilda zu, und das Mädchen schlüpfte aus dem Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Amelia stellte das Tablett auf den Tisch, aber sie setzte sich nicht.
»Sie haben Rolfe d’Ambert noch nicht gesehen?« begann sie.
»Nein.«
»Haben Sie gehört, daß er sehr gut aussieht?«
Leonie hätte fast gelacht. »Ein Mann kann ein Adonis sein und doch das Herz eines Teufels haben.«
»Sie möchten ihn nicht haben?« drang Amelia weiter in sie.
»Ich sagte doch schon, daß ich ihn nicht will«, erwiderte Leonie unwillig.
»Dann wird es Sie beruhigen, wenn Sie wissen, daß er Sie nicht belästigen wird. Er … er heiratet Sie nur wegen ihres Landes. Verstehen Sie, er hat mich für seine … seine sonstigen Bedürfnisse.«
»Ach?«
Amelia runzelte die Stirn, als sie den sarkastischen Tonfall hörte. »Wir brauchen keine Feinde zu sein, Sie und ich. Wenn Sie ihn nicht wollen, dann können Sie kaum etwas dagegen einzuwenden haben, wenn ich ihn habe.«
»Ich habe nichts dagegen. Sie können ihn von mir aus gern behalten. Aber Sie haben mir keine Last von der Seele genommen. Warum will er gerade mich heiraten, wenn es unzählige Frauen gibt, die mehr Land besitzen als ich?«
»Er will Pershwick haben, weil es dort Schwierigkeiten gibt, über die Sie mehr wissen müßten als ich. Ich kann Ihnen nur sagen, was sein Freund Thorpe mir erst heute morgen erzählt hat. Rolfe ist aufbrausend, und er handelt spontan. Wenn er größere Ländereien gewollt hätte, hätte er sich darum bemüht. Wenn er sie in Zukunft haben will, wird er dafür sorgen, daß er sie
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