WENN DIE LUST ENTLAMMT
Gabriel ist nicht so. Er macht sich Gedanken um dich. Und deswegen ist er auch zu dir gekommen und hat versucht, deine Wohnung sicherer zu machen, und bietet dir weiterhin Hilfe an. Und was dich daran stört, ist doch wohl vor allem, dass er es tut, weil er es für moralisch richtig hält, und nicht wegen dir persönlich. Zu allem Übel weißt du, dass es tief in dir noch einen Teil gibt, der nichts lieber tun würde, als sich an ihn zu lehnen und ihm all deine Probleme auf die breiten Schultern zu laden.
In dem, was ihre innere Stimme ihr sagte, steckte ein Fünkchen Wahrheit, wie Mallory widerwillig zugeben musste. Denn schon allein der Wunsch, Gabriel würde sich um sie kümmern, war sehr beunruhigend. Noch ein Grund, weswegen sie sich von ihm fernhalten musste, und um genau das zu erreichen, hatte sie dem restlichen Geld, das sie ihm noch schuldete, einen kurzen Brief beigelegt.
Und wenn sich ihre Wege wieder kreuzen sollten? Dann hatte Mallory vor, ihn so zu behandeln wie früher, und das hieß, wie einen entfernten, aber amüsanten Bekannten. Was er auch tat oder sagte, sie würde nur lächeln, höflichKonversation machen und dann wieder ihrer Wege gehen, sodass ihre Würde, ihre Tugend und ihr Herz unversehrt blieben.
Plötzlich fühlte sie sich wieder stark und konnte das tun, was sie eigentlich tun sollte, sich nämlich endlich ganz auf das Interview konzentrieren. „Ich habe neun Jahre für den Ball gearbeitet“, sagte sie zu ihrer früheren Schulkameradin. „Seit der Highschool.“
„Ach ja?“ Nikki nickte, als wäre ihr das neu.
„In all dieser Zeit habe ich die verschiedensten Komitees geleitet, und deshalb sind mir alle Aufgabenbereiche vertraut, egal ob es um die Organisation des Unterhaltungsprogramms, die Spendenregistrierung, die Bewirtung oder die Werbung geht, Ich denke, das gibt mir einen ganz guten Überblick über alles, was getan werden muss und von wem und wann.“
„Ja, das stimmt wohl.“ Nikki tippte sich mit dem rechten Zeigefinger an die Wange. „Aber letztes Jahr haben wir einige Änderungen vorgenommen. Soviel ich weiß, warst du nicht dabei, oder?“
„Nein.“
„Bist du nicht von deinem Komitee zurückgetreten?“
„Ja.“ Obwohl es ihr schwerfiel, schaffte Mallory es, mit ruhiger Stimme zu sprechen. „Das stimmt.“ Um genau diese Zeit vor einem Jahr wurden die ersten Gerüchte über ihren Vater in Umlauf gebracht. Mallory war davon überzeugt gewesen, dass alles nur ein Irrtum war. Schockiert, wie schnell Leute, die sie ihr ganzes Leben lang kannte, bereit waren, das Schlimmste zu glauben, hatte sie beschlossen, Denver zu verlassen, bis ihr Vater die Dinge geklärt hatte.
Was er natürlich nie tat.
Sie hob unwillkürlich das Kinn. „Ich lerne schnell, und ich nehme an, dass alles, was ich wissen muss, in den Unterlagendeiner vorigen Event-Manager zu finden sein wird. Und falls ich etwas übersehen sollte …“, sie zwang sich zu einem Lächeln, „… wirst du oder eine andere Mitarbeiterin, die sich auskennt, bestimmt froh sein, mich zu korrigieren.“
„Davon kannst du beruhigt ausgehen“, bestätigte Nikki trocken.
Die Unterhaltung lief nicht unbedingt wie erhofft, aber Mallory ermahnte sich, nicht in Panik zu geraten. Sie hatte immer noch die Chance, die Dinge zu ihren Gunsten zu wenden.
Mühsam bezwang sie ihren Stolz und beugte sich vor. „Wenn du mir die Gelegenheit geben willst, zu zeigen, was ich kann“, sagte sie ernst, „verspreche ich dir, dass du es nicht bereuen wirst. Ich werde härter arbeiten als alle anderen Bewerberinnen, die du vielleicht sonst noch in Betracht ziehst.“
Nikki stieß plötzlich einen Seufzer aus wie jemand, dessen Geduld auf eine harte Probe gestellt wird. „Ich finde, du solltest wissen, dass April, die vorige Event-Managerin, nicht einfach gegangen ist. Sie wurde gefeuert.“
„Oh.“ Diese Neuigkeit war erstaunlich, da Mallory wusste, dass so etwas in der fünfundfünfzigjährigen Geschichte dieser traditionsreichen Veranstaltung noch nie vorgekommen war.
„Genau, oh. Als sie anfing, dachten wir alle, was für ein Glück wir hatten, weil sie so tüchtig war und alles im Griff zu haben schien und weil sie ständig auch Aufgaben übernahm, die sonst von den Ehrenamtlichen erledigt wurden. Aber wie wir kürzlich entdeckten, war sie von Anfang an überfordert, und als sich die Probleme zu häufen begannen, schob sie sie einfach beiseite und gab vor, sie existierten gar nicht.“
„Was für
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