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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie ständig hin und her. Nachdem sie einige Male »der liebe Junge« oder »Gott segne ihn« über Jack gesagt hatten, begannen sie den Lastwagenfahrer als Nichtsnutz, als »die schlimmste Sorte Mensch« und als »durch und durch böse« zu bezeichnen. Missy und ihre Mutter kamen auch, wobei Missys Mutter tatsächlich einen Pelz trug. In einem Krankenhaus. (Ihr Hausmädchen war nicht dabei, so dass ich mir keine Sorgen machen musste, etwas Falsches zu sagen.) Von einem Tag auf den anderen konnte man sich von den Glücklichen, die eine ganze Veranda voller Baumwolle hatten, zu den Bedürftigen verwandeln, weil man keinen Pelz und keine Goldarmbänder hatte.
    »Kann ich zu den Hochöfen da drüben und versuchen, ein paar Funken zu fangen?«
    »Und warum willst du so was Törichtes tun?«, fragte Tante Celia. Ich konnte ihren Pfefferminzatem riechen, der viel angenehmer war als Kautabak. Man durfte im Krankenhaus weder spucken noch rauchen, und sie brauchte vermutlich etwas, um ihren Mund zu beschäftigen.
    »Ich hab noch nie einen solchen Funkenregen gesehen. Darum.«
    »Aber du würdest dir die Hände verbrennen und wahrscheinlich sogar in Flammen aufgehen, Kind.«
    »Aber ich würd auch einige Funken fangen.«
    Ich wollte dringend auf die andere Seite der Fensterscheibe. Ich wollte unbedingt herausfinden, wohin die Straßenbahn fuhr. Aber niemand erlaubte mir, alleine hinauszugehen, und Virgie wollte das Krankenhaus nicht verlassen. In den Straßen brannten abends so viele Lichter. Und alles war lauter und größer. Ich vermochte kaum alles in mich aufzunehmen und zu verdauen.
    »Findest du Birmingham nicht auch wundervoll, Tante Celia?«
    »Nein«, erwiderte sie. Das Pfefferminzbonbon in ihrem Mund schlug gegen ihre Zähne, die wahrscheinlich verfault sein würden, bis Jack wieder nach Hause durfte. »Viel zu schmutzig und zu laut. Mir reichen die Idioten, die bei uns zu Hause leben. Zwanzigmal mehr Idioten, wie es sie hier gibt, würden mich in den Wahnsinn treiben.«
    »Es ist alles so anders«, meinte ich.
    »Hab ich das nicht grade gesagt?«
    Ich blickte weiterhin aus dem Fenster und beobachtete, wie die großen Gebäudemonster die Stadt bewachten. »Diese Funken können doch vom Wind bis nach Carbon Hill getragen werden, nicht? Dort können sie sich dann einen hübschen Kamin aussuchen, hineinfliegen, als ließe sie ein Storch fallen, und dann ganz von selbst ein großes Feuer machen.« Ich zeigte auf Sloss. »Babyfeuer«, nannte ich die Funken.
    Tante Celia hatte ihr Pfefferminzbonbon aus dem Mund genommen und musterte es eingehend. »Die Spucke in meinem Mund schmeckt besser als das«, meinte sie und starrte das Bonbon finster an.
    Ich deutete auf die andere Seite der Stadt, ohne so recht zu hören, was sie sagte. »Ich wette, wenn du diese Schlote im Stahlwerk hochkletterst, kannst du einen Vogel mitten im Flug in der Luft fangen.«
    Tante Celia behielt ihr Bonbon zwischen Daumen und Zeigefinger und fuchtelte damit in meine Richtung, als würde sie in der Luft I-Pünktchen machen. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du Bilder malen kannst, ohne auch nur einen Pinselstrich aufs Papier zu bringen, Tessie? Sind vielleicht keine sinnvollen Bilder, aber sie bringen einen auf jeden Fall zum Lachen.«
    Manchmal kam mir Tante Celia wie die wunderbarste Frau der Welt vor, selbst wenn sie ein Bonbon voller Spucke in den Fingern hielt. Mir gefiel die Vorstellung – diese hübschen Bilder, die in der Luft schwebten, nachdem ich etwas gesagt hatte.
    »Man nennt Birmingham die Zauberstadt«, erklärte ich Papa auf dem Nachhauseweg.
    Er und Mama sahen einander an. Sie wirkten müde. Aber da schien auch noch etwas anderes zu sein. Eher traurig als müde. »Hier schlafen die Leute in den Koksöfen, Tessie«, sagte er. »Die Kumpel haben keine Häuser, in denen sie wohnen können, wenn sie ihre Arbeit verloren haben. Alles gehört den Unternehmen. Persönlich geb ich nicht viel auf diese Art von Zauberstadt.«
    Aber mir gefiel es. Selbst wenn Leute in Koksöfen schliefen. Es war egal, ob es hässlich war oder nicht. Es war auf jeden Fall aufregend.
     
    Leta
    Während Albert arbeitete – was im Oktober fast immer war –, kümmerte ich mich um alles im Haus. Schon lustig, dass ich ausnahmsweise einmal das Gefühl hatte, es könnte gar nicht genug zu tun geben.
    Sobald die Kinder im Bett waren, arbeitete ich bei Kerzenlicht, da ich keinen Strom verschwenden wollte. Ich beschäftigte mich zum einen noch so

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