Wenn Die Nacht Anbricht
spätnachts, damit Albert nicht erfuhr, dass ich unsere Schuhe flicken musste. Zum anderen konnte ich meine Augen einfach nicht mehr für längere Zeit schließen. Ich lauschte dem regelmäßigen Atmen der Kinder – ja, ich musste ihm lauschen. Immer wieder ertappte ich mich dabei, dass ich mich im Bett mit dem Ellbogen aufrichtete und mich einfach nicht hinlegen wollte – vom Schlafen ganz zu schweigen –, wenn ich sie stattdessen bewachen konnte. Jack schlief nicht gut, sondern wälzte sich immer wieder unruhig hin und her, um sich nicht auf seinen Arm zu legen. Sein Bein durfte er sowieso nicht belasten. Ich hörte, wie er ständig im Schlaf aufstöhnte – das einzige Mal, dass er solche Schmerzenslaute von sich gab. Ihm schwoll gewöhnlich die Brust vor Stolz über seine gebrochenen Knochen. Das Wimmern im Schlaf klang auch deshalb besonders bedrohlich für mich, weil er den Tag über in dieser Hinsicht nichts verlauten ließ. Ich bemerkte mehr als jemals zuvor, wie anders die Laute waren, die man im Schlaf von sich gab – wobei das Wimmern weniger schrecklich für mich war, als wenn er überhaupt keine Geräusche machte.
Die Stille ließ mich daran denken, wie es wäre, wenn es nie mehr irgendwelche Jack-Laute gegeben hätte. Nie wieder. Nur einen Jack, der genauso still und reglos war wie diese Ziegelsteine am Straßenrand. Aber die Baufirma durften wir nicht verklagen. Albert weigerte sich. Ich war ebenfalls der Meinung, dass man den Leuten keinen Ärger machen musste, wenn es sich vermeiden ließ. Aber jedes Mal, wenn ich den Kopf hob, sah ich die Probleme, die dieser Fahrer meiner Familie bereitet hatte. Albert wollte nichts davon hören, aber ich hätte es trotzdem gern gesagt. Stattdessen fragte ich ihn, wenn auch nur einmal. Als er Nein sagte, nickte ich nur.
Im Gegensatz zu Celia. Sie kam immer wieder darauf zurück, stritt sich mit ihm, schüttelte über ihn den Kopf. Ich hatte nicht den Eindruck, als ob ihn das Nörgeln zu irgendetwas bewegen würde – ebenso wenig wie das Nichtnörgeln. Er hatte seine Entscheidung getroffen, und damit war der Fall für ihn erledigt.
Ich hätte ihn natürlich auch weiter bedrängen oder still und abweisend sein können, so dass er unglücklich geworden wäre oder vielmehr wir beide. Oder ich konnte es sein lassen. Ich wollte unser Leben so gut weiterlaufen lassen, wie es ging. Viel zu viel war bereits in die eine oder andere Richtung gezogen worden oder hatte seinen ursprünglichen Platz verlassen.
Also versuchte ich, meine eigenen Gedanken zu glätten, zu bügeln und zu stärken. Eine Woche lang war ich mit den Schuhen beschäftigt, was mich wenigstens von der Frage ablenkte, warum ich meine Kinder nicht einmal im Schlaf aus den Augen lassen konnte.
Es kostete nur fünf Cent, eine neue Sohle an die Schuhe kleben zu lassen, und die Löcher in Tess’ Winterstiefeln wurden immer größer. Aber ich wollte keinen unnötigen Penny ausgeben, zumindest so lange nicht, bis Albert weniger arbeiten musste und wir den Großteil der Krankenhausrechnung beglichen hatten. Nicht, dass er etwas gegen neue Schuhsohlen eingewendet hätte. Ganz im Gegenteil. Wenn er gesehen hätte, dass ich ein Stück Pappe ausschnitt, um es in Tess’ Schuh zu legen, hätte er laut protestiert und wäre selbst zu Bill gegangen, um eine Sohle zu besorgen. Die Pappe hielt nur einen Tag lang, deshalb saß ich jede Nacht wieder da und schnitt ein neues Stück zurecht. Tess beschwerte sich nicht, obwohl sie an feuchten Tagen bestimmt die Kälte und Nässe spürte, die durch die Pappe in den Schuh drang.
Es ging mir allerdings mehr darum, beschäftigt zu sein, als um das Geld. Diese zehn Cent hätten nicht viel ausgemacht. Wir hatten sowieso bereits fünfundsiebzig Dollar Schulden. Aber es brachte mich fast um, Albert halb tot zu später Stunde oder auch erst morgens zurückkommen zu sehen und zu wissen, dass diese Schicht zwar zu Ende war, die nächste aber schon in wenigen Stunden auf ihn wartete. Eines Abends kam er heim und wollte wissen, was es zum Frühstück gab, obwohl die Sonne noch nicht einmal untergegangen war.
Wir kauften ohnehin so wenig, dass es schwer war zu sparen. Ich hatte nicht vor, Alberts Kaffee zu rationieren. Wir kamen auch nicht ohne das Trockeneis für den Kühlschrank aus. Davon abgesehen, wurde nichts gekauft. Ich war daran gewöhnt, abends länger als Albert zu arbeiten, etwas zu flicken oder das Geschirr abzuwaschen, während er draußen saß und rauchte, und
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