Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
ich hatte bestimmt nicht vor, es mir jetzt gemütlich zu machen, wenn er im Schweiße seines Angesichts rackerte. Während das Bett neben mir leer war, fühlte sich die Matratze härter an, und auch die Uhr tickte lauter. Ich hatte ein Gefühl der Hilflosigkeit, das sich noch verschlimmerte, wenn sich Jack auf seinem Lager hin und her wälzte und ich nichts tun konnte, um ihm zu helfen.
    Also schnitt ich die Pappe aus und kam dabei nicht von den Linien ab, die ich zuerst um den Stiefel herum gezeichnet hatte. Als ich fertig war, geriet ich kurz in Versuchung, noch mehr Schuhe auf diese Weise zu flicken – ob es nun nötig war oder nicht. Aber ich hielt mich zurück. Allerdings legte ich die Schere nicht beiseite, sondern behielt sie in meinem Schoß, während Tess’ Stiefel nebeneinander vor mir standen. Ich blies auch nicht die beiden Kerzen auf dem Boden aus, obwohl ich eigentlich kein Licht mehr brauchte. Ich saß im Schneidersitz ohne ein Feuer im Kamin mitten im Wohnzimmer, war nicht müde, dachte aber auch an nichts Besonderes. Es war leicht, in diesen wachen Nächten an nichts zu denken. Ich konnte völlig abdriften und nur noch ein leerer Körper sein. Eine Weile blieb ich so sitzen und spürte bloß den kalten Boden unter mir, bis Albert die Haustür öffnete.
    »Wieso kommst du mitten in der Nacht nach Hause?«, fragte ich und vergaß beinahe zu flüstern.
    Er neigte den Kopf zur Seite und antwortete mir leise. »Es ist fünf Uhr morgens, Leta-ree. Gleich wird der Hahn krähen.«
    Ich hatte den Hahn bisher immer besser gekannt als er sich selbst. Nun wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Das Gefühl der Leere, das ich in der Nacht empfunden hatte, verschwand auf einen Schlag.
    »Was tust du hier mitten auf dem Boden?«, wollte Albert wissen. »Und du hast noch dein Nachthemd an. Geht’s Jack denn gut?«
    »Ja.«
    »Geht’s dir denn nicht gut?«
    Ich stand auf, blies eine der Kerzen aus und streckte die andere Albert hin. Er hatte dunkle Schatten unter den Augen. Selbst nachdem ich eine ganze Nacht lang Jacks Prellungen und blaue Flecke betrachtet hatte, reichte ein Blick in Alberts Augen, um jegliche Bitterkeit zu vergessen, in die ich mich bei dem Gedanken, wer für all das eigentlich hätte bezahlen müssen, hineingesteigert hatte.
    »Bin nur hier rübergegangen«, sagte ich, da ich wusste, dass er nicht in der Verfassung war nachzufragen. »Wann musst du wieder los?«
    »Morgen zur Nachtschicht.«
    »Dann kannst du also ausschlafen?«
    Er nickte, während er bereits auf das Schlafzimmer zusteuerte. Ich folgte ihm mit der brennenden Kerze. Er hatte sich umgezogen, nachdem er im Bergwerk geduscht hatte. Also musste er sich jetzt nur noch bis auf sein Unterhemd und seine lange Unterhose ausziehen und konnte dann direkt ins Bett fallen.
    »Schläft Jack durch?«, murmelte er, den Kopf bereits auf dem Kopfkissen.
    »Sieh selbst«, erwiderte ich und stieß ihn ganz leicht an. »Wirft sich ein bisschen hin und her, aber ansonsten schläft er.«
    Albert hob ein wenig den Kopf an und drehte ihn in Richtung des Jungen. Es dauerte einige Sekunden, doch es gelang ihm. Seine Lider blieben gerade lange genug auf, um Jack von oben bis unten zu mustern. Dann legte er sich wieder hin. »Er weiß, dass ich hier sein will?«
    »Natürlich weiß er das. Er weiß auch, dass du arbeiten musst.«
    »Ich hab ihn seit drei Tagen nicht mehr wach gesehen. Was wird er von mir denken?«
    »Dass dir nichts anderes übrig bleibt.«
    Er zupfte am Saum meines Nachthemds, um mich näher an sein Gesicht zu ziehen. Offenbar war ihm eingefallen, dass er mich noch nicht geküsst hatte, und er gab mir einen Kuss auf die Wange, als ich mich tief genug zu ihm herunterbeugte, so dass er seinen Kopf nicht heben musste.
    »Tun die Schultern weh?«, fragte ich.
    Er grunzte mit geschlossenen Augen. Die Mädchen rührten sich nicht, aber ich vermutete, dass Virgie sich vielleicht schlafend stellte. Sie wachte beim kleinsten Geräusch auf. Tess schlief wie Jack – sie hätten beide genauso gut aus Holz geschnitzt sein können, sobald sie einmal im Bett lagen.
    »Soll ich sie dir massieren?«
    Diesmal war es eher ein Summen als ein Grunzen. Ich saß auf dem Rand des Bettes und rieb die Hände aneinander, um sie zu wärmen. Die kalte Luft und das Duschen nach den Schichten hatten Alberts Nacken so trocken wie Zeitungspapier werden lassen. Die Muskeln darunter waren zu Beton geworden und gaben nicht im Geringsten nach, und ich wusste, dass sich

Weitere Kostenlose Bücher