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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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machen. Würde viel zu lange dauern.«
    »Wir können auf dich warten«, meinte Lois.
    »Tut mir wirklich leid«, wandte ich mich an Orville. »Ich würde gern mitkommen, aber diesmal geht’s einfach nicht. Vielleicht sehen wir uns ja das nächste Mal, wenn du wieder hier bist. Würde mich freuen.«
    Eine Weile ging es noch hin und her. Ich saß einige Minuten mit den beiden auf der Veranda, doch das änderte nichts an meinem Entschluss. Schließlich brachte ich ihnen Eistee heraus, wir tranken alle ein Glas, und dann gingen sie wieder. Ich sah, dass Orville enttäuscht war, aber ich konnte wirklich nicht mitkommen. Ich war schmutzig und hätte mindestens eine Stunde, wenn nicht länger, gebraucht, bis ich genügend Wasser hochgeholt und mich gewaschen hätte. Außerdem konnte ich nicht einfach weggehen, ohne vorher den Boden fertig gestrichen zu haben.
     
    Tess
    Nach Jacks Unfall vergaßen wir die Brunnenfrau. Mehr oder weniger. Meine Albträume hörten auf. Weder Virgie noch ich erwähnten Babys oder Mütter oder irgendwelche Geheimnisse, die es zu lüften gab. Alle redeten sowieso weniger, deshalb mussten wir uns auch nicht sonderlich anstrengen, Stillschweigen zu bewahren. Papa und Mama schliefen kaum noch, versuchten aber so zu tun, als würden sie nicht ständig über alles stolpern. Ich entdeckte mehr Falten in Mamas und Papas Gesichtern, und ich merkte, dass sich auch Virgie mehr anstrengte, um Mama zu unterstützen.
    Ich spürte deutlich den Unterschied zu früher im Haus, und ich wusste, dass auch ich hätte ernster sein müssen. Aber sobald mir klar war, dass es Jack wieder gut gehen würde, konnte ich nicht mehr stillhalten. Ich kam aus Birmingham zurück und brannte nur so darauf, etwas zu unternehmen oder wohin zu gehen. Mein Kopf war voller Stadt. Und wenn ich nicht den ganzen Weg nach Birmingham zurückkonnte – keiner schien es eilig zu haben, wieder dorthin zu fahren, und selbst wenn, hätte ich wohl kaum die Erlaubnis bekommen, mich dort umzusehen –, musste ich mich eben mit etwas begnügen, das näher war.
    Mir fiel Lou Ellen Talbert ein und die toten Babys hinter ihrem Haus. Ich war neugierig. Mit ihrer verbrannten Seite, der spitzen Zunge, ihrem erwachsenen Benehmen und den toten Kindern lebte dieses Mädchen in einer ebenso fremden Welt, wie das Birmingham für mich war. Und sie befand sich ganz in der Nähe. Lou Ellen ging nicht die ganze Zeit über in die Schule, da sie oft im Haus mithelfen musste, wenn ihre Mutter draußen auf den Feldern war. Aber ich hielt Ausschau nach ihr. Sobald ich sie einmal in der Pause entdeckte, erkundigte ich mich bei ihr, ob ich die Babys sehen könne. Sie saß allein unter einem Baum im Schatten – mit anderen Mädchen war sie selten zusammen – und wirkte nicht im Mindesten überrascht. Sie zögerte keine Sekunde und erwiderte, dass es ihren Eltern nicht gefallen würde, wenn sie einer Freundin die Gräber einfach so zeigen würde. Aber wenn ich es schaffte, zu ihr zu kommen, nachdem ihre Eltern im Bett waren, könne ich sie sehen.
    Mich heimlich nachts rauszustehlen machte das Ganze noch aufregender. Wir planten, uns in der darauffolgenden Nacht zu treffen, nachdem alle im Bett waren.
    Ich erzählte Virgie nichts von unserem Plan, da ich annahm, sie würde mich ausschimpfen, weil ich in einer Zeit, in der es so viel zu Hause zu bedenken und zu tun gab, an tote Babys dachte. Und sie würde mich bestimmt dafür schimpfen, dass ich plante, mich heimlich nachts davonzustehlen. Aber mir blieb schließlich nichts anderes übrig. Ich hatte zwar noch nie gefragt, ob ich länger wegbleiben dürfe, aber weder ich noch Virgie waren jemals draußen gewesen, wenn wir eigentlich schon hätten im Bett sein müssen – es sei denn, wir verbrachten die Nacht bei einer Freundin. Papa meinte immer, er verstünde Eltern nicht, die ihre Töchter zu allen Tages- und Nachtzeiten draußen herumlaufen ließen. Ich wusste, das hieß, dass wir nicht wie diese Töchter sein durften.
    Ich versuchte, mich nicht schuldig zu fühlen, weil ich ein Geheimnis hatte, und sagte mir, ich hätte nichts Unrechtes vor. Ich wollte schließlich nur eine Freundin besuchen. Im Grunde log ich nicht, wenn ich einfach nichts sagte. Ich musste also nicht das Gefühl haben, Mama und Papa nicht zu respektieren.
    Als ich an jenem Tag aus der Schule nach Hause kam, an dem ich abends Lou Ellen treffen sollte, holte Mama gerade Wasser aus dem Brunnen. Sie hatte mir den Rücken zugewandt. Ich schlang

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