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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht das Ende ihrer Geschichte erzählt, um das es uns ja eigentlich ging.
    »Aber Sie haben ihn nicht in unseren Brunnen geworfen?«, fragte Virgie, die beinahe enttäuscht klang. »Es wäre wirklich in Ordnung.«
    »Warum sollte ich ihn in einen Brunnen werfen?«, fragte sie und wirkte überrascht. Nach einer Weile stellte sie ihre Tasse auf den Boden und strich sich mit beiden Händen den Rock glatt. Sie holte tief Luft, richtete sich auf und ging zum Fenster hinüber. »Was ich getan habe, war, ihn zu taufen.«
    Virgie und ich warfen einander einen raschen Blick zu. Virgies Mund stand einen Spalt offen. Als Tante Lou nicht weiterredete, gab ich Virgie ein Zeichen, etwas zu sagen, woraufhin sie hastig abwinkte.
    Endlich meinte sie: »Haben Sie ihn denn taufen lassen, als er noch am Leben war?«
    Ich hielt das für eine gute Art, die Frage zu stellen.
    Tante Lou schüttelte den Kopf. Wir konnten nur ihren Rücken und den Haarknoten sehen. »Einige Leute tun das, wisst ihr. Schon die Babys taufen. Er war noch nicht alt genug, um Gott in sich aufzunehmen. Aber das sollte man doch bei einer Taufe tun. Als er dann starb, musste ich immer wieder daran denken, dass es besser wär, als Baby getauft zu werden als überhaupt nicht. Ich wollte ihn schon begraben, als mir wieder diese Idee kam. Es gab keine Kirche, in die ich ihn bringen konnte. Aber Gott hat mir den Weg gezeigt. Denn was ist eine Kirche denn viel anderes als gottesfürchtige Menschen?«
    Sie klang wie ein Prediger, als sie diese Frage stellte. Wir antworteten nicht, und nach einer Weile fuhr sie von selbst fort.
    »Ich wusste, wo solche gottesfürchtigen Menschen leben. Meine Nichte hatte sie mir gezeigt. Und gottesfürchtige Menschen haben ein Taufbecken, in dem wir rein und erneuert wiedergeboren werden. Zum ewigen Leben.« Sie drehte sich zu uns um und streckte uns eine Hand entgegen, während sie ihr Kinn in die Luft reckte. »Die Erde ist für den Tod da, das Wasser fürs Leben.«
    Sie kam zwei Schritte auf uns zu, beugte sich vor und warf dann hastig einen Blick über ihre Schulter. »Eine Taufe – das war es, was er gebraucht hat.«
    So froh wir waren, dass sie uns alles gestanden hatte – zumindest auf ihre eigene seltsam vernebelte Weise –, so nervös wurden wir auch bei ihrem Anblick. Ich war erleichtert, als sie zurückwich und sich wieder in ihren Schaukelstuhl setzte. Ihre Miene war genauso leer und ausdruckslos wie zu Beginn unseres Gesprächs. Sie schien nicht viel mehr hinzufügen zu wollen.
    »Danke, dass Sie’s uns gesagt haben«, meinte Virgie.
    Als Tante Lou wieder nicht reagierte, wussten wir nicht, was wir noch sagen sollten. Wir dankten ihr noch einmal, erklärten, dass wir hofften, es würde ihr bald besser gehen, und dass wir uns freuen würden, wenn wir irgendetwas für sie tun könnten, und verabschiedeten uns dann, während sie noch immer stumm wie ein Fisch dasaß und sich nicht rührte. Wir verließen so schnell wie es der Anstand erlaubte das Zimmer und das Haus und wurden erst langsamer, als wir auf die Hauptstraße einbogen. Ich suchte nicht einmal mehr nach Lou Ellen, um mich von ihr zu verabschieden.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte ich Virgie.
    »Nichts.«
    Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. »Aber wir müssen doch was tun!«
    »Willst du sie verraten?«, entgegnete Virgie.
    »Wir können doch nicht einfach nichts sagen.«
    »Sie ist nicht ganz richtig im Kopf, Tess. Vielleicht fehlt ihr auch nur das Baby. Aber was auch immer es sein mag – sie hat nichts Böses getan. Und alle würden über sie reden, sie böse ansehen und sie behandeln, als wär sie Dreck, wenn sie das wüssten. Was soll das bringen? Lassen wir es einfach damit auf sich beruhen.«
     
    Leta
    »Ich hab Jonah gefragt, ob er zum Abendessen kommen will.«
    Ich traute kaum meinen Ohren, als ich diese Worte aus Alberts Mund vernahm. Mir war bereits heiß, da ich über einen Topf mit kochenden Weißrüben gebeugt dastand, und jetzt wurde mir fast schwindlig. Ich wandte dem Herd den Rücken zu und sah Albert an. Ich sah ihn so lange an, bis er weiterredete.
    »Er meint, dass das nicht geht.«
    »Gott sei Dank hat wenigstens einer von euch noch nicht ganz den Verstand verloren.«
    »Ich dachte, du magst Jonah.«
    »Natürlich. Tu ich auch.«
    Und das stimmte. Jonah war ein fleißiger Mann, der Albert immer wieder half. Höflich. Außerdem bot er mir immer an, etwas für mich zu tragen, wenn er zufällig vorbeikam, während ich gerade einen

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