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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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versuchte, mit den Schuhen so wenig Staub wie möglich aufzuwirbeln. Wenn ich meine Zehen vor meinen Fersen aufsetzte, entstand kaum eine Wolke. Ich sah, wie Henrys Füße neben den meinen herliefen. Er wirbelte sehr viel Staub auf, doch ich konzentrierte mich weiterhin auf meine Zehen-Ferse-Zehen-Ferse-Bewegung.
    Wir kamen an der sogenannten Nigger Town vorbei, einer kleinen Gruppe von schmalen Häusern, die sich den Hügel hinaufzog. Nirgendwo waren Schwarze zu sehen, aber unser Weg führte uns auch nicht direkt in das Viertel hinein. In der Schule war einmal eine Minstrel-Gruppe der Kirwanis aufgetreten, die so lustig war, dass man vor Lachen Seitenstechen bekam. Die Mitglieder hatten sich die Gesichter schwarz angemalt und tanzten auf der Bühne herum, wobei sie ständig alles falsch aussprachen, stolperten und immer wieder übereinander fielen.
    Einmal kam auch eine Gruppe echter Schwarzer, um zu Weihnachten in der Mittelschule etwas aufzuführen. Die waren nicht mal halb so lustig, denn sie schienen nicht zu wissen, wie sich schwarze Menschen eigentlich benehmen sollten.
     
    Tess
    Sonntags gab es abends das beste Essen der ganzen Woche. Fast immer hatten wir Kartoffelbrei und zwar Berge davon – so viel, dass man sich ein zweites und sogar ein drittes Mal nehmen konnte. Mama machte außerdem Soße. Meistens mochte ich die weiße Soße am liebsten, aber bei Kartoffeln bevorzugte ich die braune. Man konnte auch löffelweise Erbsen in die Mitte des Kartoffelbreis legen und auf diese Weise ein Vogelnest bauen. Und das zählte dann nicht einmal als verbotenes Spielen mit dem Essen.
    An jenem Sonntag, als Virgie von Henry Harken nach Hause begleitet worden war, zog ich sie beim Essen damit auf. Jack gab auch sein Bestes. Sobald Virgie hereinkam, rief uns Mama zu Tisch. Papa forderte Jack auf, das Gebet zu sprechen: »Himmlischer Vater, wir danken dir für dieses Mahl und deinen göttlichen Segen auf all unseren Wegen. Amen.« Wir Mädchen durften nur das Gebet sprechen, wenn keine Männer am Tisch saßen.
    Jack löffelte Kartoffelbrei auf seinen Teller und sagte: »Heiratest du den, Virgie?« Dann sahen wir zu, wie sie rot wurde.
    »Ach, sei still«, murmelte sie.
    »Hat er dich geküsst?«, wollte ich wissen. »Hoffentlich hast du dich nicht von ihm küssen lassen.«
    »Ihr zwei sollt keinen solchen Unsinn reden«, meldete sich Mama zu Wort und versuchte, dabei ein Lächeln zu unterdrücken.
    »Nein«, erwiderte Virgie und bemühte sich, finster und anständig dreinzublicken.
    Ich bemerkte immer wieder, wie die Jungs Virgie ansahen, wie sie ganz rot und aufgeregt wurden und sich gegenseitig in die Seite boxten, wenn sie vorüberging. Manchmal konnten sie ihr nicht einmal in die Augen blicken, was nicht weiter schlimm war, da Virgie sie sowieso nicht ansah. Es war interessant, und ich war mir sicher, dass sich die Jungs in meiner Gegenwart später nie so lächerlich benehmen würden. Sie verhielten sich nur so dämlich, wenn man so hübsch wie Virgie war.
    »Wolltest du, dass er dich küsst?«, fragte Jack.
    »Es reicht«, sagte Papa.
    Ich konnte mich trotzdem noch nicht zurückhalten. »Wenn er dich küsst, dann kannst du garantiert seine Pomade riechen.«
    Papa starrte mich wütend an, bis ich anfing, den Kartoffelbrei in meinen Mund zu schieben.
    Aber Jack setzte noch rasch einen drauf, ehe Papa ihm einen letzten Jetzt-reicht-es-aber-endgültig-Blick zuwerfen konnte. »Du könntest deine Babys dann Henrietta und Henry und vielleicht noch mal Henry nennen. Die Harkens mögen den Namen Henry.«

4 Kein Geld für Schiefer
    Jack
    Natürlich wussten wir nicht, was es heißt, Hunger zu haben. Echten Hunger. Da Papa Land besaß, war es nie schwer, an Essen zu kommen. Jedenfalls nicht für uns Kinder – wir aßen einfach, was Mama uns vorsetzte, nachdem sie und Papa geschwitzt und gearbeitet hatten, um es aus dem Boden zu holen, es zu putzen, einzumachen oder zu kochen. Es gab selten Fleisch, aber bei Mamas guter Küche merkte man das nicht.
    Die Leute ohne eigenen Grund, die in den Bergarbeiterlagern lebten oder ein Haus oder eine Wohnung mieteten, hatten dieses Polster nicht. Als man anfing, die Gruben zu schließen, gab es nichts mehr, was man hätte auftischen können. Und auch keine Arbeit mehr. Außerdem wussten diese Männer oder ihre Familien nicht, wohin sie gehen sollten. Manchmal gab es vielleicht ein Almosen von der Kirche oder eine Mahlzeit von einem Verwandten, aber das reichte nicht. Tagein, tagaus,

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