Wenn Die Nacht Anbricht
Zuber gebeugt, als Mama das Betttuch erneut beiseite zog.
»Was machst du noch hier, Mädchen? Du solltest besser …« Sie hielt auf einmal inne und wirkte überrascht, was ich selbst mit meinem Kopf nach unten bemerkte. »Na ja, zumindest bist du aus dem Wasser. Ich habe noch nie ein Kind erlebt, das so wenig auf ein Gewitter gibt. Aber vielleicht lernst du es ja jetzt. Beeil dich, und komm ins Wohnzimmer. Wir warten auf dich. Und geh von diesen Lampen weg! Wenn es schlimmer wird, verstecken wir uns im Sturmkeller.«
Leta
Das Bett war kühl, und ich schmiegte mich an Albert, sobald er sich neben mich gelegt hatte. Zu Beginn unserer Ehe hasste ich den Geruch der Grube an ihm. Ich hasste den Kohlenstaub auf seiner Haut. Doch dann verwandelte sich das alles in seinen Geruch und war nicht mehr der des Bergwerks, und das hatte etwas Beruhigendes an sich.
Wir sanken in die Matratze, nicht nur durch das Gewicht unserer Körper, sondern auch wegen der Müdigkeit, der vielen Arbeit und der Rechnungen, die es zu bezahlen gab. Gewöhnlich drückte er mein Bein, und ich gab ihm einen Kuss auf den Hals, und dann schliefen wir ohne ein weiteres Wort ein. Alle Worte, alle Bewegungen und alle Gedanken wurden von der Dunkelheit aufgesogen.
In jener Nacht lagen wir jedoch da und keuchten ein wenig atemlos. Er beschwerte sich nicht über meine kalten Füße, die unter seine lange Unterhose schlüpften. Der Regen hatte sich inzwischen in ein Nieseln verwandelt, was ein angenehmes Schlaflied ergab. Aber keiner von uns schlief ein. Am Atmen der Kinder hörte ich, dass zumindest sie eingedöst waren. Albert hingegen drehte sich zu mir und strich mir die Haare hinter mein Ohr. Sein Atem kam von oben auf mich herab, da er besser schlief, wenn er auf zwei Kissen lag.
»Ich hab über dieses Baby nachgedacht«, flüsterte er. Nachts kringelten sich seine Worte wie Rauch um meine Ohren. Er wollte die Kinder nicht wecken. »Und du?«
»Die Mädchen denken auch noch an den Jungen«, sagte ich und blickte zur Decke hinauf. Ich hörte das Pfeifen des Zuges in der Ferne. Ich wusste, dass ich seine Frage nicht beantwortet hatte.
»Überlegst du nie, wer so was getan haben kann, Leta-ree?«
Selbst als wir noch jung verlobt waren, hatte er mich nie »Liebling« oder »Schatz« genannt. Ich mochte diese süßen Kosenamen ohnehin nicht. Doch einmal hörte er, wie mich mein Vater Leta-ree nannte, was die Abkürzung für meinen zweiten Vornamen war – Reanne. Damals verlor er kein Wort darüber, doch seitdem nannte er mich auch so.
»Was soll’s bringen?«, fragte ich. »Überlegen bringt kein Essen auf den Tisch und ist so sinnlos wie Wünschen oder Verfluchen.«
Er zog sich etwas von mir zurück, doch sein Mund blieb noch in der Nähe meines Ohrs. Nur unsere Körper berührten sich nicht mehr. »Ist höchstwahrscheinlich jemand, den wir kennen.«
Ich dachte an die Frauen, die in meiner Küche aufgetaucht waren und andere Frauen aufgezählt hatten, neben denen sie in der Kirche saßen – als würden sie Grünzeug nach kleinen Schnecken absuchen. »Das ist Gift, Albert. Wenn man so denkt, kommt nichts außer Hass raus. Lassen wir’s doch auf sich beruhen.«
»Ich versteh nicht, wie du das kannst«, erwiderte er und drehte sich um, so dass er mir den Rücken zuwandte. »Einfach nicht mehr dran denken.«
Er lag da und knirschte mit den Zähnen. Das machte er immer, wenn er angespannt war. Früher hatte mich das fast wahnsinnig gemacht.
»Ich kann’s eben«, sagte ich schließlich.
Er lag regungslos da, und sein ganzer Körper wirkte steif. Wenn er so war, konnte auch ich mich nicht entspannen. »Du kannst’s nicht mir vorwerfen, wenn dein Tag schwierig war«, meinte ich nach einer Weile.
Er antwortete nicht, aber ich spürte, wie er etwas lockerer wurde. Sein Körper schmiegte sich langsam tiefer in die Matratze. Dann drehte er sich wieder zu mir, so dass sein Arm neben mir lag. Meine Beine schlüpften erneut zwischen seine Waden, die sich warm anfühlten. Einen Moment lang lagen wir nur da und atmeten.
»Hat Virgie was über diesen Jungen gesagt?«, flüsterte er mir ins Ohr.
»Ich glaub nicht, dass sie ihn sonderlich mag«, erwiderte ich leise. Fast glaubte ich, ihn lächeln zu hören.
»Warum nicht?«
»Zu hochmütig. Er hat damit angegeben, dass er alle Süßigkeiten kriegen kann, die er haben will. Damit wollte er sie wohl gewinnen.«
Albert rutschte ein wenig zur Seite und unterdrückte ein Lachen. Vielleicht war es
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