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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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tanzte. Uncle Dave Macon spielte »Rockabout My Saro Jane«. Ich setzte mich auf, so dass meine Schultern aus dem Wasser schauten und die Beine zum größten Teil untertauchen konnten. Zum Rhythmus der Musik seifte ich mich ein. Uncle Dave durchbrach das Fiedeln mit Trommeln, Rufen und Gejohle, während seine Füße schnell und fest auf dem Boden stampften. Ich widmete mich meinem Kopf und rieb mit der Seife über meine Haare, ehe ich mit den Fingern hindurchfuhr. Mama sagte immer, dass man sich besonders gut hinter den Ohren waschen müsse. Das tat ich auch und tauchte dann mit dem Kopf unter.
    Als ich wieder hochkam, hatte Uncle Dave ein neues Lied begonnen. Er sang jetzt: »If they beat me to the door, I’ll put them under the floor/Keep my skillet good and greasy …« Seine Stimme klang wie das Näseln des Banjos.
    Ich war fast fertig. Das Wasser war inzwischen kühl und schmutzig geworden. In diesem Moment hörte ich das erste Grollen des Donners. Meine Haare quietschten noch nicht, wenn ich mir über den Kopf fuhr, deshalb warf ich rasch einen Blick auf die Lampe, die über meinem Kopf hing, und tauchte dann schnell erneut unter. Ich war mir nicht sicher, wo das Handtuch lag.
    Papa war der Erste in unserer Straße, der einen Stromanschluss bekam. Die Glühbirnen gaben abends ein warmes einladendes Licht ab und hingen wie kleine Tropfen von der Decke herab. Es kam mir immer wieder wie Magie vor, dass man mit einem einzigen Ziehen an einer Kordel ein Zimmer erhellen konnte. Aber bei einem Gewitter zerplatzten diese Lampen oft, so dass Funken und sogar elektrische Blitze auf uns herabregneten. Noch kamen keine solchen Blitze, aber die Glühbirne über dem Waschzuber begann bereits Funken zu schlagen. Ich schmeckte Metall in meinem Mund. Marianne in der Schule hatte mir erzählt, dass ein Mann in Jasper während eines Gewitters an seinem Küchentisch gesessen und eine Schale Haferflocken gegessen hatte. Ein elektrischer Blitz fuhr aus der Fassung über ihm herunter, erfasste seinen Kopf und tötete ihn augenblicklich. Ich fragte mich oft, ob er wohl in seiner Schale gelandet war.
    Elektrizität erinnerte mich an den alten Mr. Gordon in der Kirche, der weiße Haare hatte, die ihm wie Baumwolle aus den Ohren quollen, und der einen gern überraschte. Manchmal hieß das, dass er mir ohne Grund ein Pfefferminzbonbon schenkte und es mir so schnell in den Mund schob, dass ich befürchten musste, er würde mir das Auge ausstechen. Manchmal jedoch schlug er mich auch während des Gottesdienstes auf den Hinterkopf, selbst dann, wenn ich direkt neben meinen Eltern saß und überhaupt nicht redete, sondern nur gelegentlich ein wenig hin und her rutschte. Einerseits wollte ich mich also nie in seine Nähe setzen, weil ich dann einen Schlag abbekommen konnte. Andererseits musste ich das Risiko eingehen, wenn ich ein Pfefferminzbonbon haben wollte. Auf diese Weise blieb es mit dem alten Mr. Gordon immer spannend.
    Gewöhnlich machte ich mir kaum Sorgen, wenn es ein Gewitter gab. Wir waren meist damit beschäftigt, die Eimer in den Zimmern zu verteilen, um das Wasser aufzufangen, das durch das lecke Dach tropfte. Alle versuchten die Löcher als Erste zu verdecken. Jack war vermutlich auch jetzt dabei, die Eimer hin und her zu schieben, denn Virgie interessierte dieses Spiel nicht sonderlich.
    In gewisser Weise mochte ich die elektrischen Funken sogar. Ich liebte das Knistern in der Luft. Und ich mochte das Wasser. Ich hatte noch nie verstanden, warum man nicht beides gleichzeitig haben konnte, selbst wenn dieser Mann solches Pech gehabt hatte, während er sein Frühstück aß. Doch diesmal wollte ich wirklich aus dem Waschzuber heraus. Ich hatte Angst, und diese Empfindung wurde immer stärker, als wartete sie nur darauf, sich ganz auf mich zu stürzen. Früher wusste ich nicht, was Angst war. Doch seit der Geschichte mit dem Baby kam es mir so vor, als wäre ich nirgendwo mehr sicher. Ich wusste nicht, wieso, aber ich sah sogar nachts, ehe wir das Licht ausschalteten, unter dem Bett nach, ob sich dort etwas versteckt hatte.
    Jetzt sprang ich triefend aus dem Zuber. Ich entdeckte das Handtuch erst, als ich bereits in der ganzen Küche nasse Fußspuren hinterlassen hatte. Es hing über der Lehne eines Stuhls. Ich beobachtete, wie die Funken aus den Lampen sprühten, und hielt mein Gesicht so, dass ich sie ständig im Blick hatte, während ich zum Waschzuber zurückkehrte und meine Haare auswrang. Ich stand noch immer über den

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