Wenn Die Nacht Anbricht
älterer Mann mit großen, schnellen Schritten auf uns zu. Er blieb neben ihr stehen und zwar so, dass er sich beinahe zwischen uns schob.
»Junge«, sagte er und nickte mir grüßend zu. »Ich bin Rex Tobin.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Sir.« Ich war überrascht und fragte mich, ob er vielleicht ihr ältlicher Ehemann sein konnte.
»Wie ich seh, haben Sie sich meiner Tochter bereits vorgestellt.«
Ich hoffte, dass er mein Lächeln als freundlich ansah und nicht als ein Zeichen der Erleichterung. »Ja, Sir. Ich bin Albert Moore.«
Leta hakte sich bei ihrem Vater unter. »Ich hab mich noch nicht vorgestellt, Daddy. Ich heiße Leta Tobin.«
»Freut mich«, sagte ich.
Es brauchte eine ganze Zeit und viele Hausbesuche, ehe wir alleine spazieren gehen durften. An jenem Abend, als wir uns kennenlernten, redete ich jedenfalls mehr mit ihrem Vater als mit ihr. Es war ihr peinlich, wie sie mir später erklärte, dass sie ihre Haare aufgemacht hatte, ein solches Verhalten hielt sie gewöhnlich für unzüchtig. Aber ein Funke war aus dem Feuer in ihr Haar geflogen, und sie hatte den Zopf gelöst, um ihn auch sicher zu löschen. In jener Nacht dankte ich Gott für diesen Funken.
Als ich nun im Bett neben ihr lag, spürte ich, wie ihre Haare auf meinen Arm fielen. Kühl und schwer. Ihr Gesicht vermochte ich nicht zu erkennen. Nur den Ansatz eines Ohres, des Kinns und die weichen Gruben ihrer Wange. Alles bestand um diese Zeit aus Schatten.
Ich fragte mich, wie ich sie an jenem ersten Abend tatsächlich erlebt hatte und wie viel inzwischen von meiner Erinnerung verändert worden war, so dass es sich in mein Gesamtbild von Leta fügte. Jahrelang dachte ich an ihre Liebenswürdigkeit, die sich in den dunklen Augen und dem weichen Mund widergespiegelt hatte. Ich erinnerte mich – oder bildete ich mir das nur ein? – an ihre kleinen Hände und dass ich bereits an jenem ersten Abend wusste, sie würden Schmerzen in meinem Nacken genauso heilen wie ein Schluck Whiskey, und ihre Armbeuge wäre derart perfekt für ein Kind geformt, als hätte Gott sie genau für diesen Zweck erschaffen.
Ich war mir immer völlig sicher gewesen. Es hatte sich stets richtig angefühlt. Doch auf einmal kam es mir wie irgendein erfundener Zauber vor, den sich Tess hätte ausdenken können. Ging Gott wirklich so vor, dass er die richtige Frau in das Leben eines Mannes führte? Dass er ein Paar zusammenbrachte, das perfekt wie zwei Buchstützen zueinander passte? Hatte er dann auch diese Frau zu unserem Brunnen gelenkt oder Jesse Bridgeman geholfen, sich zu erinnern, wo er die Kugeln für seine Pistole aufbewahrte?
Vielleicht war sie auch einfach nur ein schönes Mädchen mit einem angenehmen Wesen gewesen. Vielleicht hatte mich nicht die Hand Gottes zu ihr geleitet, und vielleicht hatte auch nicht meine Zukunft in ihrem Gesicht geschrieben gestanden. Mir war auf einmal kalt in unserem Bett, obwohl so viele Decken auf uns lagen und wir uns gegenseitig wärmten. Aber der Gedanke, dass es möglicherweise nur eine billige Täuschung war, erschreckte mich zutiefst.
»Leta«, flüsterte ich, so leise ich konnte, und hoffte, sie würde sich zu mir drehen, damit ich ihr Gesicht sehen konnte.
»Hm?« Sie atmete ihre Antwort nur aus und schaffte nicht einmal ein ganzes Wort.
»Leta-ree.«
Diesmal bewegte sie sich und drehte den Kopf zur Seite, so dass ich sehen konnte, wie sich ihre Lippen beim Sprechen bewegten.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie.
Ihre Stimme reichte mir. Ich musste gar nicht mehr ihr Gesicht sehen. In meinem Inneren wurde es wieder ruhig. Ich entspannte mich und rückte näher zu ihr. »Ja, alles in Ordnung«, sagte ich.
Virgie
In meinem Kopf wiederholte ich mehrmals, was ich zu Lola Lowe sagen wollte. »Hallo, Mrs. Lowe«, würde ich sagen. »Wir haben uns gedacht, dass Sie vielleicht gern ein paar Äpfel hätten.«
Ich dachte auch daran zu behaupten, dass Mama auf die Idee gekommen war, ihr die Äpfel zu bringen. Aber das wäre eine eindeutige Lüge gewesen. Sie würde sich so oder so freuen, die Äpfel zu bekommen, und das würde die Sache für uns vereinfachen. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie sich bei uns bedanken und uns hereinbitten würde, und dann konnten wir sehen, ob ihr Neugeborenes da war oder nicht.
Ich hielt den Korb so fest, dass die Weiden in meine Finger schnitten.
»Soll ich klopfen?«, fragte Tess.
Ich hatte eigentlich gesagt, dass ich es tun würde. Dass ich reden und die ganze Sache
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