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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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würde man mit den Händen über seinen Backenbart streichen.
    »Weiberheld«, murmelte Mama. Sie kam wieder zurück, drehte einen großen Kreis um ihn, um ihr Nähzeug zu holen, und sah dabei aus, als würde sie jeden Moment weglaufen wollen. Er lehnte sich zurück und grinste. Mit den Socken sowie Nadel und Faden bewaffnet, hielt Mama inne, wandte sich in unsere Richtung, sah auf Papa herab und strich ihm dann mit der Hand über die Haare. Für eine kurze Sekunde ließ sie die Finger dort, dann zog sie sie wieder zurück und starrte ihn so lange gespielt finster an, bis er aus ihrem Stuhl aufstand.
    Am nächsten Morgen marschierten wir gemeinsam zur Farm hinaus. Wir gingen zu Fuß, statt den Wagen zu nehmen, da es hell und schön war und die Sonne gerade am Horizont aufgetaucht war. Auf der Farm gab es große Felder mit Wassermelonen und Mais, aber es war die Baumwolle, die zum Pflücken bereit war. Jede Pflanze hatte ihren strikten Plan, nach dem sie wuchs und gedieh.
    Sobald wir vor der Baumwolle standen, sahen wir im Grunde nichts anderes mehr – Reihen und Reihen davon, so dass das schlichte Holzhaus und der Hof, in dem die Talberts wohnten, wirkten, als wären sie erst im Nachhinein hinzugefügt worden. Ich bemerkte zwei Hüte – beide aus Stroh und mit breiten Krempen –, die sich zwischen den Reihen hin und her bewegten. Papa musste sie auch gesehen haben, denn er rief: »Wir fangen hinten an!« Daraufhin tauchten Mr. und Mrs. Talbert inmitten der Baumwolle auf. Kurz und kräftig gewachsen, erinnerte Mrs. Talbert mit ihrem Hut an einen Champignon.
    »Wir treffen euch dann irgendwo in der Mitte!«, rief Mr. Talbert. »Jedenfalls ist das der Plan!«
    Das war alles, was wir mit ihnen sprachen. Papa führte uns daraufhin zur anderen Seite des Baumwollfeldes. Dort nahm er eine Pflanze in die Hand und zog einen Stängel zu uns herab. Es war wie eine Wolke an einem Stock, ein bisschen schmutzig, aber dafür weich und flauschig. Ich nahm an, dass es so sein würde, als würde man ein Kopfkissen pflücken. Papa erklärte uns, wie man das Flauschige mit einem einzigen Drehen aus der stacheligen Blüte zog. Er warf es in Jacks Beutel und meinte, das sei noch umsonst gewesen. Mir und Jack wies er die beiden Enden einer Reihe zu, während er und Virgie in der Reihe daneben anfangen wollten. Ich wünschte mir, in derselben Reihe wie Papa zu sein. Doch noch ehe ich so richtig Zeit hatte, eifersüchtig zu werden, waren er und Virgie schon wieder in unserer Reihe.
    »Passt auf, dass ihr den braunen Teil nicht in den Beutel mit der Baumwolle werft«, sagte er. »Da soll nur Weißes drin sein, wenn wir es nachher zur Entkörnungsmaschine bringen.«
    Während ich trödelte und mir Gedanken darüber machte, dass Virgie mehr Zeit mit Papa verbrachte, als ich das durfte, verschwand er bereits wieder in ihrer Reihe und warf Baumwolle in seinen Sack. Keiner von uns hatte auch nur seinen Beutel geöffnet.
    »Alles in Ordnung?«, rief er uns über die Schulter hinweg zu. Er pflückte so schnell, dass ich seine Hand nur noch verschwommen erkennen konnte.
    »Ja, Sir!«, erwiderten wir, obwohl noch keiner von uns angefangen hatte. Ich fasste nach der ersten Baumwollblüte. Sie fühlte sich nicht im Geringsten wie ein Kopfkissen an. Sie war vielmehr rau und klebrig und wollte ihr Flauschiges nicht hergeben.
    »Aua«, sagte Jack neben mir. »Das sticht.«
    Wir machten einige Meter weiter, langsam und nach vorne gebeugt, während unsere Fingerkuppen unter die Baumwollblüten fuhren und versuchten, mehr das Weiche als das Klebrige zu erwischen. Die Sonne stand noch so tief, dass sie nicht über die Pflanzen schien, und doch fühlten sich meine Finger bereits wund an. Ich suchte nach Blutspuren, konnte aber keine entdecken. Aus Virgies Reihe war ein Rascheln zu vernehmen, aber sie sagte kein Wort.
    »Wie läuft’s, Virgie?« Ich sah zu ihr hinüber und schob mir dabei die Haare in die Schleife zurück.
    »Ich versuch zu verstehen, wie’s geht.«
    »Meine Finger tun weh«, klagte Jack.
    »Wir sind noch kaum vorangekommen«, meinte ich und richtete mich auf, um meine Schleife neu zu binden. »Meine Haare gehen auf. Virgie …«
    Sie schlug meine Hände fort, bevor ich den Satz zu Ende bringen konnte. Dann band sie mir einen derart engen Zopf, dass mir fast der Kopf schmerzte. Andererseits wusste ich jetzt zumindest, dass er nicht mehr aufgehen würde. »So«, sagte sie. »Und schaut nicht auf das Ende der Reihe. Das macht euch

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