Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Schluss hast du keine Finger mehr. Wirst schon sehen.«
    Ich sah zuerst ihn und dann meine Finger an. Nichts hätte mir mehr Spaß gemacht, als ihm zu beweisen, dass er falschlag. Aber das hätte bedeutet, er würde irgendwo sitzen, sich entspannen und abkühlen, während ich weiterhin schwitzte und blutete, und das wäre überhaupt nicht fair gewesen.
    »Mir macht das auch keinen großen Spaß«, erklärte ich notgedrungen.
    Virgie auf der anderen Seite der Baumwollsträucher bestand nur aus Schatten und Hut. (Sie wollte keine Sonne auf ihr Gesicht bekommen. Ich hingegen hatte mich geweigert, mir von Mama auch einen Hut aufsetzen zu lassen. Sie meinte, dass es meine Sache sei, wenn ich in der Oberschule hässlich und runzelig sein wolle. Sie würde mich nicht aufhalten. Zu diesem Zeitpunkt war es schon zu spät, ihr zu erklären, dass ich meine Meinung geändert hatte.) »Mir gefällt es auch nicht«, sagte Virgie nach einem Moment.
    Zehn Sekunden lang standen wir da und sahen einander an. Dann nahmen wir unsere Beutel und machten uns auf den Weg zu Papa, um ihm zu erklären, dass wir keine Lust mehr auf das Pflücken hatten. Er schien nicht überrascht. Und da es ihn nicht weiter störte, machten wir es uns unter einem Pekannussbaum bequem, verglichen unsere blutigen Finger und hatten das Gefühl, es gäbe niemanden auf der Welt, der einen hübschen warmen Flecken Gras mehr verdiente als wir. Nach einer Weile holten wir die Fladen heraus, die Mama für uns eingepackt hatte, da wir annahmen, dass es kurz vor Mittag sein musste. Papa machte immer die besten Würste, und Mama hatte uns diesmal auch ein Stück davon mitgegeben. Leere Fladen waren einfach nicht das Gleiche. Papa hatte ein Räucherhaus neben dem Stall aufgebaut, wo er die Würste räucherte. Ich wusste, es gehörte mehr dazu als das bloße Räuchern; man musste Schweineteile nehmen und andere Schweineteile in sie stopfen. Aber ich wollte es nicht hören, als Papa mir einmal erklären wollte, wie es ging.
    Wir hatten alle gerade ein oder zwei Bissen verzehrt, als wir aufblickten und einen fremden Jungen und ein fremdes Mädchen vor uns entdeckten. Wir hatten nicht einmal bemerkt, wie sie auf uns zugekommen waren. Keiner der beiden trug Schuhe, aber da es ein schöner Tag war, schien das nicht weiter wichtig zu sein. Ich hatte meine Schuhe auch ungern an.
    »Ist das Wurst?«, fragte der Junge, ohne »Hallo« zu sagen.
    »Ja«, erwiderten ich und Jack gleichzeitig.
    »Gehört ihr zu Mr. Moore?«, wollte das Mädchen von uns wissen.
    »Er ist unser Vater«, antwortete Virgie. Es war ihr deutlich im Gesicht abzulesen, dass sie diese Frage für unhöflich hielt.
    »Wir wohnen hier«, meinte der Junge.
    Inzwischen hatte ich bemerkt, dass die beiden die gleichen Beutel wie wir hatten, nur dass ihre voller Baumwolle waren.
    »Habt ihr auch gepflückt?«, fragte ich. »Wir haben es heute zum ersten Mal versucht.«
    Nachdem ich ihnen meine Finger gezeigt hatte und Jack meinem Beispiel gefolgt war, sahen sie uns an, als wären wir auf den Kopf gefallen. Ihre Finger waren voller Schwielen und so hart wie die von Papa. Sie waren auch viel brauner als wir, sogar dunkler als Jack, der so braun wie eine Nuss war. Aber selbst diese Bräune verdeckte nicht, dass sie eine irgendwie seltsame Hautfarbe hatten. Unter den Augen lagen Schatten wie bei Papa, wenn er eine Doppelschicht einlegen musste und müde und ohne Sonnenlicht gesehen zu haben nach Hause kam. Ihre Haare waren weder blond noch schwarz noch braun. Sie sahen aus, als hätten sie gar keine Farbe.
    »Ihr habt vorher noch nie gepflückt?«, fragte das Mädchen. Ich bemerkte, dass ihr Kleid aus einem ausgebleichten Mehlsack bestand – der gleiche Stoff, aus dem unsere Geschirrtücher waren. »Wir helfen immer Mama und Papa.«
    »Die Talberts?«, wollte Virgie wissen.
    Sie nickten, und der Junge runzelte die Stirn, als er unsere Beutel sah.
    »Vielleicht bekommt ihr für alles zusammen einen Dollar«, meinte er, wirkte aber nicht allzu sicher. »Vielleicht auch weniger. Da habt ihr höchstens ein paar Pfund drin.«
    »Wir können beide drei Dollar pro Tag pflücken«, erklärte das Mädchen.
    Nach einer Weile hörten sie auf, unsere Beutel zu begutachten und wandten ihre Aufmerksamkeit wieder der Wurst zu.
    »Esst ihr schon?«, fragte das Mädchen. »Wir hören mittags nicht auf. Arbeiten so lange, bis es nicht mehr geht.«
    Sie schüttelte den Kopf, als keiner von uns antwortete. »Also so lange, bis man nichts

Weitere Kostenlose Bücher