Wenn Die Nacht Anbricht
Gesichtszüge waren mir entglitten. Wir besaßen nur ein Familienfoto mit ihr, quadratisch und nicht größer als die Puderdose einer Dame. Es war noch vor meiner Geburt aufgenommen worden. Auf der Aufnahme lächelte sie nicht, obgleich ich mich noch an ihr schiefes, ansteckendes Lächeln erinnern konnte. Natürlich wollte niemand so lange lächeln, bis eine dieser Fotografien im Kasten war. Wenn man uns allerdings nach dieser kleinen quadratischen Aufnahme beurteilt hätte, hätte man uns als eine ausgesprochen finstere, nüchterne Familie gesehen.
Rosen blühen bis lange in den Herbst hinein – ein weiterer Umstand, der mir als Mädchen und auch noch als Frau gefiel. Mein Jasmin hatte einen süßen Duft, aber sobald es kühler wurde, ließ er seine Blüten fallen. Dennoch liebte ich den Geruch von Jasmin, wenn er zu mir in die Küche geweht wurde. Ich erlaubte den Mädchen nie, den Jasmin anzufassen, den ich direkt neben den Lavendelstrauch gesetzt hatte, damit sich ihre Düfte vermischten.
Papa war mit all den Töchtern ein wenig auf verlorenem Posten. Aber er war ein liebenswerter Mann. Seine Fingernägel waren immer schmutzig, wenn es auch kein Kohlenstaub wie bei Albert war, und er hatte eine gute Singstimme, die uns manchmal morgens weckte. Einmal baute er mir ein Spalier, als ich Kletterrosen ausprobieren wollte, doch das Einzige, woran ich mich von diesem Nachmittag erinnern kann, war, wie Papa versuchte, meinen Zopf zu binden. Er schaffte es nicht. Seine großen Finger gingen mit dem Band viel zu ungeschickt um, und der Zopf hing an einer Seite meines Kopfs herab. Ich ließ ihn trotzdem hängen.
Soweit ich wusste, hatte Albert nie versucht, die Haare der Mädchen zu frisieren. Ich war mir sicher, dass auch er kläglich versagen würde – sosehr er auch meine Haare liebte, es liebte, sie zu berühren, sie mir aus dem Gesicht zu streichen oder sogar seine Hände damit zu bedecken, als wir jung verheiratet waren und es für ihn etwas Neues, Ungewohntes war, neben einem Kissen voller Haare aufzuwachen.
Ich öffnete sie nachts, aber ich nahm nicht an, dass er viel Zeit hatte, sie auf Dauer zu bemerken. Ein Junge mochte vielleicht auf die Haare eines jungen Mädchens starren, aber zwischen einem Mann und seiner Frau gab es nicht mehr viel zu starren.
Ich liebte anfangs Alberts Schultern. Ich drückte, so fest ich konnte, gegen seine Muskeln, um herauszufinden, wie weit sie Widerstand leisteten. Während ihn meine Haare faszinierten, bedeutete für mich die Festigkeit seiner Schultern (die Arme und der Rücken waren genauso kräftig) eine neue Welt. Als Unverheiratete konnte man die Schultern eines Mannes so lange betrachten, wie man wollte, aber man erfuhr doch nie, wie sie sich anfühlten.
Ich trat auf einen Stein, der so spitz war, dass ich auf den Boden blickte, und bemerkte, wie schmutzig meine Füße waren. Voller Erde und – ich hob einen Fuß nach hinten – an der Sohle schwarz. Tess wäre begeistert gewesen, mich so zu sehen, und ebenso begeistert, mir erklären zu können, ich müsse meine Füße dringend waschen. Wenn ich daran dachte, würde ich ihr erlauben, mich zu erwischen, ehe ich mich wusch.
Die Weichheit und Sanftheit meiner Rosenwelt ließ bald nach.
Emmalines Tod war der Anfang. Dann wurde Papa im Jahr nach meiner Hochzeit krank und starb. Es war anders als nach Emmalines Tod. Damals kam niemand, um sich nach uns zu erkundigen. Alle schienen unser Haus zu meiden. Doch als Papa gestorben war, platzten sowohl sein Haus als auch das unsere aus allen Nähten. Die Tische bogen sich unter Aufläufen, Brathähnchen, Pasteten und Kuchen. Ich brauchte Monate, ehe ich wieder Zucker schmecken konnte, ohne dass mir übel wurde.
Ich arbeitete mich die Reihe von Rosen entlang, die um die Ostseite des Hauses führte. Ehe ich mich dem Abschnitt unter dem Küchenfenster widmete, begutachtete ich meine bisherige Arbeit, um sicherzustellen, dass der Mist auch glatt und eben verteilt war. Obwohl es nichts zu beanstanden gab, nahm ich doch noch einmal die Schaufel zur Hand und verteilte ein wenig zusätzlichen Dung unter Virgies Busch. Er war als Letzter gepflanzt worden, nachdem sie sich zu ihrem Geburtstag einen rosafarbenen gewünscht hatte. Die Blüten waren kleiner als die der anderen, und ich machte mir Sorgen, dass er vielleicht nicht genügend Sonnenlicht bekam, da er zu nahe unter der Dachrinne wuchs.
Im gleichen Jahr, in dem Papa von uns gegangen war, starb auch Robert, mein einziger
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