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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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arbeiteten zu zweit in einer Kammer, und ich hatte auf diese Weise über die Jahre hinweg viel Zeit mit Jonah verbracht, wobei ich meine Nummer – die 72 – seitlich an der Lore befestigte, wenn wir sie beladen hatten. Die Bosse zählten diese Scheiben mit der Zahl 72 zusammen – es waren Messingplättchen, um genau zu sein –, und diese Messingplättchen verwandelten sich auf meinem Gehaltsscheck in Dollar, sobald die Kohle gewogen war.
    Als Steiger musste ich allerdings auch von Kammer zu Kammer gehen, um zu kontrollieren, wie die Arbeit voranging, ob alle Stützbalken fest an ihrem Platz standen, ob die Ausrüstung so funktionierte, wie sie das sollte, ob jemand auf ein Hindernis gestoßen war und ob die Kumpel miteinander zurechtkamen. An manchen Tagen war das für meinen Rücken genauso schmerzhaft wie das Abbauen. Sicherheit war hier unten wesentlich, und man musste beinahe hundert Mann im Auge behalten, die sich in Dutzenden von Kammern verteilten, von denen manche nicht größer als der Stauraum unter unserem Haus waren. Sobald mir jemand zurief, dass die Luft abgestanden oder schlecht roch, sah ich nach, ob der Wetterschacht in Ordnung war. Oder eine Pumpe wollte nicht mehr, ein Schaufelgriff brach entzwei, oder einige Kumpel gerieten miteinander in Streit. Meistens jedoch lief ich hin und her, bückte mich, stocherte und stach im Gestein herum, eilte von einer Kammer zur nächsten, begrüßte gelegentlich mit einem Nicken einen Kollegen. Ich kontrollierte das Flöz, die Holzbalken und die Gestellförderung, während ich lauschte und in die Luft schnupperte und dabei hoffte, nichts zu hören oder zu riechen, was nicht da sein sollte.
    Ich hatte mich gerade in eine Kammer begeben, als ich in einem der Pfosten unten am Boden einen Riss entdeckte. Zum Glück war es eine größere Kammer, deshalb konnte ich mit geradem Rücken in die Knie gehen, ohne mit der Kappe die Decke zu berühren.
    An meiner Grubenhose wetzte ich immer die Knie zuerst durch, aber Leta verlor nie ein Wort darüber.
    Der Balken, der vier mal acht Zoll breit war, schien noch stabil genug, und der Riss sah auch nicht aus, als würde er sich weiter öffnen. Er war nicht tief; man bekam kaum einen Daumennagel in das Holz. Während ich noch auf den Knien herumrutschte, kam einer meiner Hauer zu mir, ein gutmütiger Schwarzer, der sich stets gemächlich bewegte. Sein Name war Red, ich hatte keine Ahnung, warum. An dem ganzen Mann war nirgendwo auch nur die Andeutung eines roten Farbflecks. Ich rutschte zur anderen Seite des Stützbalkens, tastete ihn dort ab und wartete darauf, dass mir Red sagen würde, was ihm auf dem Herzen lag.
    »Mr. Albert«, sprach er mich an.
    »Was gibt’s, Red?«
    Er verschwendete keine Zeit – das musste ich ihm lassen. »Glaub, ich hab Streichhölzer bei B gesehen.«
    Ich richtete mich, so gut es ging, auf. Meine Knie fühlten sich vom Boden kalt und steif an. Bs Taufname hatte so viele Buchstaben und Laute, dass er schwieriger auszusprechen war als jeder andere Name, den ich bisher gehört hatte. Außerdem konnte die gesamte Decke eingestürzt sein, ehe man bis zum Ende des Namens kam, wenn man zum Beispiel B warnen wollte. B war also die einfachste Lösung gewesen.
    Ich hatte noch nie zuvor Probleme mit ihm oder einem anderen gehabt, weil sie Streichhölzer heruntergeschmuggelt hatten. Die Kumpel hielten sich eigentlich immer an die Regeln. Ich konnte mir nicht so recht vorstellen, was in den Jungen gefahren war.
    »Hast du mit ihm geredet?«, wollte ich wissen.
    »Nein, Sir.«
    »Wo hat er sie?«
    »Im Hosenumschlag.«
    »Dann geh wieder an deinen Platz«, sagte ich. »Ich kümmer mich drum.«
    Red nickte, drehte sich um und kehrte zu seiner Kammer zurück, die weit hinten lag. Ich folgte ihm und verfiel in den gleichen gebeugten Gang, in dem auch er dahinschlurfte. In einigen der Gruben von Birmingham gab es Männer, die kontrollierten, ob die Kumpel Streichhölzer bei sich hatten, ehe sie auch nur einen Fuß in den Schacht setzen durften. Wir alle rauchten, und uns allen fehlten unter Tage die Zigaretten. Aber zu versuchen, heimlich zu rauchen, war töricht. Viele taten es trotzdem, vor allem wenn die Luft nach einer Explosion voller Rauch hing – das war die Gelegenheit, um schnell eine zu paffen. Trotzdem war es dumm, vor allem weil oft irgendein Idiot auf die glorreiche Idee kam, sich für eine Zigarette zu verdrücken. In Wirklichkeit musste man gar nicht in irgendeine Ecke des Stollens

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