Wenn die Nacht dich kuesst...
seine Empfindungen offen zur Schau stellte. Caroline konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihr das sanfte Herz gebrochen würde, wenn ihre einzigen Anhaltspunkte Gerüchte und unbewiesene Anschuldigungen waren. Sie wusste auch genau, dass nicht allein Viviennes Herz in Gefahr war. Nicht, wenn Cousin Cecil ihnen drohte, sie auf die Straße zu setzen, wenn Caroline nicht versprach, zukünftig »freundlicher« zu ihm zu sein.
Sie unterdrückte ein Erschauern. Sie war noch nicht bereit, Kane ohne Beweise zu verurteilen. Nicht, wo sie doch sicher wusste, dass Cousin Cecil ein Ungeheuer war.
Aber sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, welche Sünde so schlimm sein konnte, um seinen besten Freund zu seinem geschworenen Feind zu machen. Und wer war eigentlich dieser geheimnisvolle Victor Duvalier? Der Konstabler hatte den Namen ganz offensichtlich als Hieb benutzt. Kanes versteinerte Miene hatte ihn nur noch schuldiger erscheinen lassen, nicht weniger. Besonders als sein Bruder bei der bloßen Erwähnung des Namens leichenblass geworden war.
Caroline ging zum Fenster. In nur wenigen Tagen würden sie und Portia wieder in ihr zugiges Cottage auf Edgeleaf zurückgeschickt werden. Aber wie konnte sie London verlassen, in dem Wissen, ihre Schwester vielleicht der Gnade eines Bösewichtes auszuliefern?
Während sie in die nächtlichen Schatten schaute und überlegte, welch dunkle Geheimnisse sie bargen, ging ihr Larkins Warnung durch den Sinn: Ich weiß nicht genau, was er ist. Ich weiß nur, dass ihm der Tod auf dem Fuße folgt, wo auch immer er hingeht.
»Tod wird nicht das Einzige sein, was ihm heute Nacht folgt«, murmelte sie. Wenn Konstabler Larkin ihr nicht den Beweis liefern konnte, den sie brauchte, um Kane entweder zu entlasten oder zu verurteilen, würde sie eben eigene Nachforschungen anstellen.
»Hast du etwas gesagt?«, erkundigte sich Portia und schaute von ihrem Buch auf.
»Allerdings«, antwortete Caroline und wandte sich vom Fenster ab. »Zieh dich an und hol dir deinen Umhang. Wir gehen aus.«
Portia spürte, dass ihre Schwester etwas wunderbar Abenteuerliches vorhatte, schlug ihr Buch zu und sprang mit vor Aufregung funkelnden Augen auf. »Wohin gehen wir?«
Als Carolines Blick auf ein Paar staubiger Halbmasken aus Pappmaché fiel, die auf dem Kaminsims lagen, Andenken an eine lange vergangene Maskerade, spielte ein grimmiges Lächeln um ihre Lippen. »Auf Vampirjagd.«
Als sie und Portia aus der Mietdroschke stiegen, musste selbst Caroline zugeben, dass es ein idealer Abend für Vampire und andere Geschöpfe der Nacht war, um unterwegs zu sein — es war windig und für die Jahreszeit ungewöhnlich warm. Ein Regen verheißendes Lüftchen regte sich, fuhr in die Zweige der Bäume und ließ die knospenden Maiblätter erzittern. Ein schüchterner Halbmond spähte zwischen den Wolkenfetzen am Himmel hindurch. Wenigstens sind wir vor Werwölfen sicher, dachte Caroline.
Sie hatte fast jede letzte Münze ihres knapp bemessenen Haushaltsgeldes dazu verbraucht, ein Gefährt zu mieten. Jetzt würden sie nach Edgeleaf zurückkehren und Cousin Cecil um Geld bitten müssen, damit sie sich bis zum Monatsende über Wasser halten konnten. Er würde behaupten, sie hätten ihre Apanage für ein flottes Leben in London verschwendet. Stattdessen hatten sie eine Stunde in einer Mietdroschke gehockt, die nach abgestandenem Zigarrenrauch und billigem Parfüm roch, während sie darauf warteten, dass Lord Trevelyan sein Haus verließ.
Caroline war schon bereit gewesen aufzugeben, als die Kutsche mit dem Familienwappen des Viscounts aus dem Weg zu den Ställen auf der Hinterseite der Häuserreihe um die Ecke bog. Sie stieß ihre eingedöste Schwester an und bedeutete dem Kutscher, dem Viscount in diskretem Abstand zu folgen. Nachdem sie das Ziel des Viscounts erreicht hatten, blieben sie und Portia nur so lange sitzen, bis sie ihre Umhänge geschlossen und die vergoldeten Masken aufgesetzt hatten, die nur die obere Gesichtshälfte verbargen. Dann verließen sie ohne Bedauern das stickige Innere der Kutsche und traten in die warme, windige Nacht.
»Oh!«, hauchte Portia andächtig und schaute sich bewundernd um.
Caroline war versucht, es ihr nachzutun. Sie hatte eigentlich damit gerechnet, dass Kane sie in eine dunkle Gasse führte, aber stattdessen hatte er sie zu einem von Portias Märchenkönigreichen gebracht, von einer Prise Feenstaub und der Berührung durch den Zauberstab zum Leben erweckt.
Während sie
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