Wenn die Nacht dich kuesst...
die flackernden Laternen in den Zweigen der Ulmen bestaunte und aus einiger Entfernung die Töne von Violinen und Mandolinen hörte, erkannte Caroline, dass sie sich vor den Toren von Vauxhall Gardens befanden, dem berühmtesten — und berüchtigtsten — Vergnügungspark Londons.
Ihr Herz setzte aus, als sie Adrian Kane aus einer der Wagen vor ihnen in der Reihe aussteigen sah. Anders als in einem von Portias Phantasiereichen lauerte neben dem Zauber auch Gefahr.
Der Viscount trug keinen Hut, und der warme Honigton seines Haares schimmerte im Licht der Lämpchen. Der hüftlange Schulterkragen seines Umhanges ließ seine Schultern breiter und einschüchternder erscheinen. Er schaute in ihre Richtung, und sein durchdringender Blick glitt suchend über die Menge. Caroline fasste Portia am Ellbogen und duckte sich rasch mit ihr hinter eine stämmige Matrone, von der lachhaften Vorstellung getrieben, dass er geradewegs auf sie zugehen und sie am Ohr packen würde.
Aber als sie um die Schulter der Frau herumspähte, hatte er sich umgedreht und schlenderte nun zu den Toren, seinen Gehstock in der Hand.
»Schnell! Da vorne ist er.« Caroline nahm Portia an der Hand und begann, rascher zu gehen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.
Trotz Konstabler Larkins Andeutungen hatten Kanes Bewegungen nichts Verstohlenes. Er schritt durch die Nacht, als gehörte sie ihm, überragte die zu dem Eingang strömenden Besuchermassen um mehr als Haupteslänge.
»Ich hatte eigentlich gehofft, Julian würde ihn begleiten«, gestand Portia, außer Atem vom Laufen.
»Soweit ich es weiß, jagen die meisten Raubtiere doch allein«, bemerkte Caroline gedankenlos.
Portia blieb jäh stehen, sodass auch Caroline nicht weitergehen konnte. Caroline drehte sich um und sah, dass ihre Schwester sie mit ungläubig aufgerissenen großen Augen anstarrte.
»Ich dachte, wir seien nur zum Spaß hier«, erklärte Portia. »Willst du wirklich sagen, dass du keinen Scherz gemacht hast, als du sagtest, wir gingen auf Vampirjagd? Glaubst du ehrlich, der Viscount könnte ein Vampir sein?«
»Ich bin mir nicht mehr sicher, was ich noch glauben soll«, erwiderte Caroline grimmig und zog an der Hand ihrer Schwester, damit sie weiterging. »Aber ich will das heute Nacht herausfinden.«
Sie waren schon fast durch das Tor gegangen, als ein Mann mit Halbglatze und einfach geschneiderten Wollhosen und Hemd den Arm aus seiner Holzbude streckte und ihnen den Weg versperrte. »Halt, meine Damen.«
Obwohl er sie als »Damen« bezeichnete, war das skeptische Glitzern in seinen Augen nicht misszuverstehen. Caroline konnte ihm kaum einen Vorwurf daraus machen, das Schlimmste von zwei unbegleiteten jungen Frauen zu denken, die zu dieser Stunde in der Stadt unterwegs waren. Sie war sich schmerzlich der Tatsache bewusst, dass sie ihrer beider Ruf aufs Spiel setzte. Aber wie konnte ihr Ruf schwerer ins Gewicht fallen als Viviennes Zukunft? Sie konnte nur beten, die Masken würden verhindern, dass sie von jemandem aus Tante Mariettas gesellschaftlichen Kreisen erkannt wurden.
Den Mann kaum eines Blickes würdigend, wippte sie auf ihren Zehenspitzen auf und ab, um Kane nicht aus den Augen zu verlieren. »Wir haben es sehr eilig, Sir. Können Sie bitte den Weg frei machen?«
»Nicht, ehe ich vier Schilling pro Nase bekommen habe.«
Als sie ihn verständnislos anstarrte, seufzte er und verdrehte die Augen. »Als Eintritt in den Garten.«
»Oh!« Caroline wich zurück. Das waren Kosten, die sie nicht bedacht hatte, die sie mit nur noch ein paar Pennys in der immer leerer werdenden Börse zurücklassen würden. Aber wenn sie nicht unverrichteter Dinge zu Tante Marietta zurückkehren wollten, blieb ihr kaum etwas anderes übrig. Kane tauchte bereits in der Menge unter.
Sie nahm ihr Seidentäschchen aus dem Umhang, zählte die Münzen ab und drückte sie dem Mann in die ausgestreckte Hand.
Hand in Hand betraten sie und Portia den Park. Nachtschwärmer drängten sich auf dem Grand Walk. Laternen funkelten wie Sterne zwischen den majestätischen Ästen der Ulmen, die den kiesbestreuten Weg säumten. Liebespärchen schlenderten Arm in Arm in der nach Nachtjasmin und gerösteten Kastanien duftenden Luft.
Eine vollbusige Dame rauschte an ihnen vorbei, gefolgt von einem livrierten Pagen mit einer Perücke, weiß wie Schnee gepudert, seine Haut schwarz wie poliertes Ebenholz. Eine Hand voll Kinder eilte mit glänzenden Augen durch die Menge wie muntere Elfen, in ihren kleinen
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