Wenn die Nacht dich kuesst...
entkommen zu sein.
Caroline änderte abrupt die Richtung und stolperte beinahe über einen üppig gepolsterten Hocker. Die Räume ihrer Tante erstreckten sich über drei Stockwerke und nahmen ziemlich genau die Hälfte des schmalen Stadthauses ein. Der Salon war genauso übertrieben und planlos wie Tante Marietta. Caroline konnte kaum die Hand nach ihrer Teetasse ausstrecken, ohne mit ihrem Ärmel an dem Hütestab einer einfältig lächelnden Porzellanschäferin hängen zu bleiben oder mit einem anderen dekorativen Hindernis in Kontakt zu kommen. Die unzähligen Sofas waren mit einer verwirrenden Vielfalt von blumenbedrucktem Chintz und unruhig gemusterten Brokaten bezogen. Die unmotiviert dazwischen stehenden Tische zierten üppig bestickte Decken.
Portia saß zusammengerollt in einem der gepolsterten Stühle, die bloßen Füße unter den Saum ihres Leinennachthemdes gesteckt. Ein Buch mit Byron-Gedichten ruhte auf ihrem Schoß. Ihre dunklen Locken lugten unter einem Rüschenhäubchen hervor. »Denkst du nicht, Julian gäbe einen viel schöneren Vampir ab als sein Bruder? Er hat so elegante Hände und so seelenvolle Augen.« Sie drückte den Lederband an ihre Brust, ein verträumtes Lächeln auf den Lippen. »Er ist nicht zu alt für mich, weißt du. Er ist erst zweiundzwanzig, fünf Jahre jünger als der Viscount. Wenn Vivienne Lord Trevelyan heiraten sollte, meinst du, sie könnte Julian dazu überreden, dass er mir einen Antrag macht?«
Caroline drehte sich um und schaute ihre Schwester von oben herab an. »Soll ich das so verstehen, dass du jetzt, nachdem du seinen ach-so-schönen und oh-wie-begehrten Bruder kennen gelernt hast, bereit bist, über die Tatsache hinwegzusehen, dass du Lord Trevelyan für einen Vampir hältst?«
Portia schaute blinzelnd hoch. »Bist du es nicht, die mich ständig drängt, praktischer zu sein?«
Während Portia ihre Nase wieder in ihr Buch steckte, schüttelte Caroline den Kopf und begann, erneut auf und ab zu laufen. Vermutlich hatte sie kein Recht, Portia wegen ihrer albernen Verdächtigungen zu schelten, wenn sie selbst allmählich das Gefühl beschlich, dass Adrian Kane eine Art Zauberbann über sie geworfen hatte. Sie hatte an nichts und niemand anderen gedacht, seit dem Moment, als er ihr sein Taschentuch angeboten hatte. Sie konnte Portia gegenüber ganz bestimmt nicht zugeben, dass sie das verräterische Stück Leinen unter ihr Kissen gesteckt hatte, nachdem sie vom Haus des Viscounts heimgekehrt waren. Oder dass sie es beim Aufwachen hervorgeholt hatte, um zu sehen, ob dem erlesenen Stoff noch immer der schwache Duft von Lorbeer und Sandelholz anhaftete.
Obwohl Kane den größten Teil des Abends der perfekte Gentleman gewesen war, wurde Caroline von dem Augenblick im Speisesalon verfolgt, als seine höfliche Maske verrutscht war und enthüllt hatte, dass er am Ende noch gefährlicher war, als Portia argwöhnte. Glaubte man Konstabler Larkin, gefährlich genug, um eine junge Frau, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihrer Schwester besaß, von dem Angesicht der Erde verschwinden zu lassen.
Sie versuchte, tief Luft zu holen, aber die erstickende Süße des Lavendelparfüms ihrer Tante schien bis in jede Ecke des voll gestopften Stadthauses gedrungen zu sein.
Was, wenn diese Eloisa Markham wirklich Vivienne ähnlich sah? War es so schrecklich, sich vorzustellen, dass ein Mann sich zu einer Frau hingezogen fühlte, die ihn an seine verlorene Liebe erinnerte? Besonders, wenn er sie an einen anderen Mann verloren hatte?
Caroline hatte den Abend damit verbracht, nach einem Hinweis auf große Leidenschaft zwischen dem Viscount und Vivienne Ausschau zu halten — lange, bedeutungsvolle Blicke, eine verstohlene Berührung ihrer Hände, wenn sie glaubten, niemand sähe hin, der Versuch, sich in eine versteckte Ecke hinter einer Zimmerpalme zu schleichen und sich zu küssen. Aber sie hatten sich wie ein Musterbeispiel für Anstand und Sitte benommen. Kane hatte über die witzigen Bemerkungen ihrer Schwester gelacht, ihr eher mittelmäßiges Harfenspiel überschwänglich gelobt und hatte sich gerade noch davon abgehalten, ihr den Kopf zu tätscheln, wenn sie etwas besonders Kluges sagte. Er schien Vivienne mit derselben freundlichen Zuneigung zu behandeln, wie man sie einer geliebten Cousine entgegenbrachte.
Oder einem Schoßhund.
Caroline rieb sich die Stirn. Was, wenn Viviennes Gefühle tiefer gingen als Kanes? Anders als Portia war Vivienne nie jemand gewesen, der
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