Wenn die Nacht dich kuesst...
Glück, die ihn schließlich nach London gelockt haben?«
»Ich bin sicher, die bloße Vorstellung, ich könnte Glück in den Armen irgendeiner Frau finden, macht ihn verrückt vor Wut. Ich habe versucht, es so einzurichten, dass er bis zum Ball nicht mehr als einen flüchtigen Blick auf sie erhaschen kann. Das ist der Grund, weshalb wir dunkle Theater und private Abendgesellschaften besucht haben. Ich möchte ihn reizen, um ihn dann so fest in unser Netz zu ziehen, dass ein Entkommen unmöglich ist.«
»Was verleitet dich zu dem Glauben, dass er den Köder schlucken und uns nach Wiltshire folgen wird?«
»Weil halb London uns nach Wiltshire folgt. Du weißt so gut wie ich, dass ein Maskenball des geheimnisvollen Viscount Trevelyan die begehrteste Einladung der Saison sein wird. Und Duvalier konnte noch nie der Aussicht auf ein großes Publikum widerstehen.«
Julian bückte sich, um einen Rußfleck von seinem Stiefel zu wischen, und wählte seine nächsten Worte mit großer Sorgfalt. »Ich habe vollstes Vertrauen in deine Fähigkeit, Vivienne vor Duvaliers Klauen zu bewahren, aber machst du dir nicht auch ein bisschen Sorgen, dass du dem Mädchen das Herz brechen könntest?«
Adrian lächelte reuevoll. »Das könnte sein, wenn sie es mir geschenkt hätte.« Julian runzelte verständnislos die Stirn, aber ehe sein Bruder nachfragen konnte, fuhr Adrian fort: »Wo wir gerade von Vivienne sprechen, ich glaube nicht, dass ihre älteste Schwester ebenso von dir eingenommen war wie die kleine Portia.«
Julian schnitt eine Grimasse. »Sie war total unnachgiebig und bissig.«
»Ganz im Gegenteil«, erwiderte Adrian und bemühte sich um eine ausdruckslose Miene. »Ich fand die älteste Miss Cabot ausgesprochen faszinierend.«
Vivienne hatte von ihrer älteren Schwester mit solch ehrfürchtiger Liebe gesprochen, dass Adrian eine vertrocknete alte Jungfer erwartet hatte, keine schlanke Schönheit mit grauen Augen, die sich wie Aphrodite selbst kleidete. Wenn Vivienne Sonnenschein war, dann war Caroline Mondlicht — silberblond, kühl und schwer fassbar. Wenn er es gewagt hätte, sie zu berühren, so fürchtete Adrian, wäre sie ihm wie Mondlicht durch die Finger geglitten.
Julian leerte den Whisky, dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund. »Sie schien auch nicht sonderlich eingenommen von dir . Wenn du ihren Segen suchst, dann denke ich, steht dir eine Enttäuschung bevor.«
»Ich habe schon vor langem aufgehört, nach Segen zu suchen. Alles, was ich benötige, ist die Gewissheit, dass sie sich nicht in die Angelegenheiten ihrer Schwester einmischt. Aber dank Larkins erbärmlicher Wahl des Zeitpunktes für seinen Auftritt, befürchte ich, habe ich heute Nacht höchstens erreicht, ihre Neugier zu wecken.«
Julian setzte sich mit besorgt gerunzelter Stirn auf. »Jetzt, da wir wissen, dass unser Plan aufgeht, können wir es uns nicht leisten, uns Duvalier wieder durch die Finger schlüpfen zu lassen. Du denkst doch wohl nicht, sie könnte ein Problem werden?«
Adrian erinnerte sich an die unbewachten Augenblicke, ehe Caroline begriffen hatte, wer er war. Er war von dem unartigen Funkeln in ihren Augen geblendet gewesen, den nur schwach zu erkennenden Sommersprossen auf ihren Wangen, der einladenden Fülle ihrer Lippen und dem Aufblitzen der Grübchen, die so überraschend im Ebenmaß ihrer hohen Wangenknochen und der spitzen kleinen Nase erschienen. Er hatte nicht vorgehabt, dass seine neckende Bemerkung sich zu einem ausgewachsenen Flirt entwickelte. Aber all seine edlen Vorsätze waren geradewegs zum französischen Fenster hinausgeflogen, als sie zu ihm aufgeschaut hatte, als wolle sie, dass er sie verschlänge.
Er richtete seinen Blick auf den allmählich heller werdenden Horizont, wünschte sich, das Sonnenlicht voller Freude zu begrüßen, statt es zu fürchten. »Nicht, wenn ich es irgendwie verhindern kann.«
5
»Trotz der Tatsache, dass er ein Vampir ist, war Lord Trevelyan meiner Meinung nach gestern die Freundlichkeit in Person, eine Seele von Mensch«, bemerkte Portia.
»Ich dachte, Vampire hätten keine Seelen«, erwiderte Caroline, während sie im achteckigen Salon ihrer Tante auf und ab ging, als sei er ein Käfig.
Tante Marietta und Vivienne hatten eine Einladung zu Lady Marylbones Kartengesellschaft angenommen und Caroline und Portia sich selbst überlassen. Die Dienstboten hatten sich zurückgezogen, froh, den tyrannischen Forderungen ihrer Herrin wenigstens vorübergehend
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