Wenn die Nacht dich kuesst...
folgen. »Verzeihen Sie, Sir, aber wo ist Lord Trevelyan? Ich hatte gehofft, er würde bei unserer Ankunft hier sein, um uns zu begrüßen.«
Wilbury wandte sich zu ihr um und warf ihr unter zusammengezogenen Brauen einen säuerlichen Blick zu. Aus seinen schneeweißen Augenbrauen standen einzelne längere Haare wie die Schnurrhaare bei einer Katze hervor. »Der Herr ist ausgegangen.«
Caroline blickte verstohlen zu dem riesigen Bogenfenster über der Tür, gerade als ein wild gezackter Blitz den Himmel erhellte und ein Windstoß an den Scheiben rüttelte.
»Ausgegangen?«, wiederholte sie zweifelnd. »Bei diesem Wetter?«
»Der Herr hat eine sehr robuste Konstitution«, erwiderte der Diener und sah irgendwie beleidigt aus, dass sie etwas anderes anzudeuten gewagt hatte. Ohne ein weiteres Wort begann er, die Treppe emporzugehen.
Vivienne schickte sich an, ihm zu folgen, aber Caroline berührte sie am Arm, um sie zurückzuhalten. »Was ist mit Master Julian? Ist er auch ausgegangen?«
Wilbury drehte sich noch einmal um und erklärte mit einem so tiefen Seufzer, dass Caroline halb damit rechnete, eine Staubwolke aus seinen knarzenden Lungenflügeln aufsteigen zu sehen: »Master Julian wird erst morgen Nacht kommen.« Enttäuschung malte sich auf Portias Züge. »Wenn Sie nicht in der Halle warten wollen, bis er eintrifft, schlage ich vor, dass Sie mir folgen.«
Caroline schaute an dem Butler vorbei zum ersten Treppenabsatz. Er hatte vermutlich Recht. Wenn sie nicht die ganze Nacht hier stehen, in ihren feuchten Umhängen zittern und auf das Ausbrechen von Lungenfieber warten wollten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihm in die Schatten zu folgen.
Wilbury führte Portia und Vivienne zu nebeneinander liegenden Zimmern im ersten Stock. Als Caroline dem flackernden Licht seiner Kerze drei weitere gewundene Treppen nach oben gefolgt war, begannen ihre Beine zu schmerzen und ihre Lebensgeister zu sinken. Die Stufen endeten schließlich vor einer schmalen Tür. Offenbar hatte Kane vor, sie dafür zu bestrafen, dass sie sich praktisch selbst eingeladen hatte, indem er sie in eine stickige Dachkammer verbannte, noch ungemütlicher und freudloser als ihr Zimmer bei Tante Marietta.
Als der Butler die Tür öffnete, wappnete sie sich für das Schlimmste.
Ihr blieb der Mund offen stehen. »Das muss ein Fehler sein«, protestierte sie. »Vielleicht war dieser Raum für meine Schwester Vivienne vorgesehen.«
»Mein Herr macht keine Fehler. Und ich genauso wenig. Seine Anweisungen waren unmissverständlich.« Wilbury senkte die Stimme zu einer glaubwürdigen Nachahmung von der Adrian Kanes. »'Miss Caroline Cabot wird im Nordturm untergebracht.< Und Sie sind Miss Caroline Cabot, oder etwa nicht?« Er betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen von oben herab. »Auf mich machen Sie nicht den Eindruck einer Hochstaplerin.«
»Natürlich bin ich keine Hochstaplerin«, erwiderte sie entsetzt. Es war unmöglich zu sagen, ob das Glitzern in den Augen des Butlers Übermut oder Bosheit verriet. »Ich habe nur einfach nicht damit gerechnet ... mit dem hier.« Caroline machte eine Handbewegung, die den ganzen Raum einschloss.
Während die Zimmer ihrer Schwestern zwar behaglich und charmant eingerichtet waren, besaßen beide wenig Ähnlichkeit mit diesem luxuriös eingerichteten Nest auf dem höchsten Punkt der Burg.
Ein Feuer knisterte im Kamin, der von einer Umrandung aus weißem Marmor eingefasst war, und sein fröhlicher Schein spiegelte sich in den Sprossenfenstern aus Bleiglas. Schlanke Wachskerzen in schmiedeeisernen Wandhaltern säumten den runden Raum. Die Steinwände waren weiß getüncht und rundum mit einer Bordüre aus verschlungenen Efeuranken verziert. Ein großes Himmelbett beherrschte die eine Wand, die anmutig gerafften Vorhänge waren aus saphirfarbener Seide.
Als Wilbury gegangen war, nachdem er versprochen hatte, einen Lakaien mit ihrem Gepäck zu schicken und eine Zofe, um ihr bei ihrer Abendtoilette zu helfen, betrat Caroline das Turmzimmer, ihren abgestoßenen Handkoffer immer noch unter dem Arm. Unter einem der Fenster standen auf einem halbrunden Tischchen mit einer Einlegearbeit aus Zitronenholz eine Waschschüssel und ein Krug mit dampfendem Wasser. Ein üppig gepolsterter Ohrensessel war vor den Kamin gestellt worden, wo ein Tablett mit Fleisch und Käse wartete. Ein smaragdgrüner Morgenmantel aus weichem Samt lag auf dem Bett ausgebreitet und lud sie ein, ihre kalten, nassen Kleider gegen ihn
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