Wenn die Nacht dich kuesst...
an die verlockende Hitze von Kanes Mund auf ihrem denken musste.
Sie warf Portia einen weiteren Blick zu, um sicherzugehen, dass ihre kleine Schwester nicht unter ihren Wimpern hervorspähte. »Sag mal, Vivienne — ich kann meine Neugier leider nicht bezähmen —, hat der Viscount in der ganzen Zeit, die ihr zusammen verbracht habt, jemals versucht, sich ... äh ... unangemessene Freiheiten bei dir herauszunehmen?«
Vivienne hob schließlich doch den Blick von ihrer Stickerei. Röte stieg ihr in die Wangen, ein auffälliger Kontrast zu der weißen Rose, die hinter ihrem Ohr steckte. Sie beugte sich vor und erntete einen leisen Schnarcher des Protests von Portia, als deren Kopf in die Polster zurückrollte.
O nein, jetzt kommt es, dachte Caroline. Sie würde gleich erfahren, dass Kane seine gesamte freie Zeit damit verbrachte, unerfahrene junge Frauen um den Verstand zu küssen.
»Einmal«, gestand Vivienne fast flüsternd und mit weit aufgerissenen blauen Augen, »als wir aus seiner Kutsche stiegen, bin ich gestolpert, und Lord Trevelyan hat seine Hand auf meinen Rücken gelegt, um mich zu stützen. Unter den Umständen hatte ich allerdings das Gefühl, dass ich keine andere Wahl hatte, als ihm diese Vertraulichkeit zu verzeihen.«
Von einem Gefühl überwältigt, das sich gefährlich wie Erleichterung anfühlte, schloss Caroline den Mund. »Das war sehr großmütig von dir.« Sie wählte ihre nächsten Worte mit noch mehr Sorgfalt. »Hat er je dir gegenüber frühere romantische Affären erwähnt?«
Vivienne war entsetzt. »Ganz sicher nicht! Dafür ist er zu sehr Gentleman.«
Caroline zerbrach sich den Kopf nach einer weniger Protest auslösenden Formulierung, als sie ein goldenes Glitzern bemerkte. Sie beugte sich vor und zog an der Kette um den Hals ihrer Schwester. Eine zierlich gearbeitete Kamee mit dem Profil einer Frau, gerahmt mit kunstvoll verschnörkeltem Golddraht, tauchte aus Viviennes Oberteil auf. Caroline betrachtete das Schmuckstück verwundert. Bei ihrer Ausquartierung aus dem Haupthaus hatte Cousin Cecil Anspruch auf alle wertvollen Schmuckstücke erhoben — selbst auf die Perlenohrringe, die Carolines Vater ihr zu ihrem sechzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Seitdem hatten die Mädchen nichts als billigen Tand getragen.
»Das ist aber ein schönes Stück«, bemerkte Caroline und hielt es in das Licht einer der Kutschenlampen. »Ich habe es dich nie zuvor tragen sehen. War es in der Reisetruhe von zu Hause?«
Vivienne senkte den Blick, sah so schuldbewusst aus, wie Caroline sich gefühlt hatte, als sie an den Kuss des Viscounts gedacht hatte. »Wenn du es genau wissen willst, es ist ein Geschenk von Lord Trevelyan. Ich habe es Tante Marietta nicht erzählt, weil ich Angst hatte, sie würde mich zwingen, es zurückzugeben.« Sie schaute Caroline flehend an. »Bitte schimpf nicht! Ich weiß, es gehört sich nicht, ein so persönliches Geschenk von einem Gentleman anzunehmen, aber es schien ihn so zu freuen, als ich ihm versprach, es zu tragen. Er ist sehr großzügig.«
»In der Tat«, antwortete Caroline leise. Sie betrachtete die Kamee mit gerunzelter Stirn, ihr Blick wurde von dem aus schimmerndem Elfenbein gearbeiteten, eleganten Hals wie magisch angezogen.
Ein scharfer Donnerschlag war zu hören, weckte Portia jäh auf. Die Kamee entglitt Carolines Fingern. Vivienne steckte sie rasch wieder in ihren Ausschnitt, wo sie vor anderen neugierigen Augen sicher war.
»Was is'?«, fragte Portia schlaftrunken. Sie rieb sich die Augen und sah sich hoffnungsvoll um. »War das ein Pistolenschuss? Werden wir überfallen? Haben uns Straßenräuber aufgelauert? Werden wir entführt und geschändet ?«
»Ich fürchte nein, Kleines«, erwiderte Caroline. »Dieses Abenteuer werden wir uns für ein andermal aufheben müssen.«
Portia gähnte und reckte sich, dabei stach sie Vivienne aus Versehen beinahe mit dem Ellbogen ins Auge. »Ich bin halb verhungert. Habt ihr vielleicht etwas von den Zuckergusstörtchen aus dem letzten Gasthof aufgehoben?« Als sie sich bückte, um in dem kleinen brokatbezogenen Koffer auf dem Boden vor Caroline nachzuschauen, schob ihn ihre Schwester rasch mit dem Fuß weg, hob ihn selber hoch und stellte ihn auf ihren Schoß.
Portia richtete sich auf und blickte sie gekränkt an. »Es besteht kein Grund, so selbstsüchtig zu sein, Caroline. Ich wollte sie nicht alle aufessen.«
»Ich glaube, wir werden langsamer«, erklärte Vivienne, als die Kutsche an Fahrt verlor und
Weitere Kostenlose Bücher